Camino Portugués - von Porto über Santiago nach Finisterre (392 km)

2.5.2019

München - Memmingen - Porto 

Es geht los: mein vierter Jakobsweg wartet auf mich. Die Flugsuche war nicht ganz so einfach wie sonst. Ab München gab es kaum etwas unter 300 Euro und Direktflüge schon gar nicht. Daher starte ich diesmal von Memmingen aus, denn Ryanair fliegt Porto von hier aus direkt an und das alles zum Schnäppchenpreis von 75 Euro inkl. Aufgabegepäck. Nachdem mein bisher einziger Ryanair-Flug von Gran Canaria nach Madrid über 4 Stunden Verspätung hatte und die Gesellschaft sich beharrlich geweigert hat, mir eine angemessene Entschädigung zu zahlen, wollte ich eigentlich nie mehr mit denen fliegen. Aber Konsequenz ist letztlich doch nur eine Frage des Preises. Mit dem Airport-Shuttle bin ich bequem vom Münchner Hauptbahnhof hierher gekommen. Da mein Flug nach aktuellem Stand schon wieder eine Stunde verspätet sein wird, habe ich nun knapp 4 Stunden Zeit. Dass es hier nur 1 Café und sonst eigentlich gar nichts gibt, macht die Warterei nicht erträglicher, aber was willst du machen. Fange ich eben schon mal an, meinen Blog zu füttern.

 

Die Idee, den camino portugués zu laufen, kam relativ spontan. Im Januar hat mich Bernardo gefragt, ob wir im Mai zu Schwiegermuttis 65. Geburtstag nach Pontevedra fliegen wollen. Da Pontevedra direkt am camino liegt, habe ich mir gedacht, na das lässt sich doch super miteinander verbinden. Der Plan für die nächsten 2,5 Wochen sieht daher wie folgt aus: nach zwei Nächten in Porto starte ich am Samstag, am Freitag laufe ich in Pontevedra ein und verbringe das Wochenende gemeinsam mit Bernardo und Schwiegermutti, bevor es am Montag weitergeht in Richtung Santiago. Im Anschluss habe ich noch 4 Wandertage Zeit und werde vermutlich ein weiteres Mal nach Finisterre laufen. Am 21. geht es dann wieder zurück. Da die Etappen bis Pontevedra durchgeplant sind, habe ich für die meisten Übernachtungen auch schon Reservierungen in kleinen Hotels und Pensionen gemacht. Das entspannt mich diesmal, da ich nicht von Tag zu Tag neu suchen und mich vor möglichen Übernachtungen in Herbergen fürchten muss. Nur zwei Etappen sind mehr oder weniger offen, aber da wird sich schon was finden. Nun sind es schon zwei Stunden Verspätung. Mir ist fad...

3.5.2019 

Porto

Puxa, ist Porto voll!

 

Nachdem ich gestern Abend nur noch wenig Zeit hatte, die Stadt zu erkunden, habe ich mich heute recht früh auf den Weg gemacht. Porto gilt als Kulturhauptstadt Portugals, entsprechend viel gibt es zu sehen: die Ponte de D. Luis - die bekannte Eisenbahnbrücke ist vermutlich das Wahrzeichen Portos -, die Kathedrale (natürlich), der Bahnhof San Bento, die Kirche und der Turm Dos Clérigos, die Librería Lello - der vermutlich schönste, auf jeden Fall vollste Buchladen der Welt und Inspiration für Hogwarts -, die Trams, die Weinkellereien, diverse weitere Kirchen und unzählige Museen. Es ist kaum möglich, irgendwo ein gutes Foto zu machen, ohne Massen von Touristen (besonders präsent sind französische) vor der Linse zu haben. Außerdem muss man bei einigen Sehenswürdigkeiten Warteschlangen in Kauf nehmen. Aber: ich habe mein Programm geschafft! Alles, was mir die nette Rezeptionistin gestern Abend genannt hat, ist abgehakt! Im Grunde war das das soeben namentlich Genannte.

 

Mit meinem Portugiesisch komme ich gut zurecht, auch wenn der Akzent ganz anders, deutlich härter ist als der brasilianische. Danke Miriam für den Einzelunterricht! Gestern beim Einchecken habe ich in Landessprache gesagt: „Ich habe eine Reservierung auf Westphal.“ Seitdem ist das Eis gebrochen. Die Rezeptionistin hat mir daraufhin sämtliche Informationen in ihrer Muttersprache gegeben. Selbst wenn ich auf englisch angesprochen werde, antworte ich auf Portugiesisch. Ein bisschen stolz bin ich ja schon darauf.

 

Zum Abendessen habe ich mich dazu verleiten lassen, Francesinha zu essen, eine lokale Spezialität bestehend aus Fleisch, Wurst, Speck, Backteig und das Ganze mit viel Käse überbacken, dazu mit einer scharfen Soße serviert. Es schmeckt genau so, wie es sich anhört, macht aber definitiv satt. Heute werde ich früh ins Bett gehen, um morgen beizeiten los zu kommen. Es gibt eine kleine Tram, den Eléctrico, die laut Reiseführer 4,6 km in Richtung Meer fährt, also genau in meine Richtung. Da die Schlange dort heute beträchtlich war und ich kein verbissener Pilger (mehr) bin, der jeden Meter zu Fuß gehen will, werde ich meinen camino mit einem Beschiss beginnen und die Tram nehmen. Die Fahrt zum Strand gilt als Attraktion, also warum nicht? Um 9 Uhr startet die erste Fahrt. Vermutlich formieren sich kurz darauf schon die ersten Wartenden. Daher will ich früh raus. Mal schauen, ob ich Glück habe.

4.5.2019

Porto - Vila do Conde (32 km)

Punkt 8:22 Uhr verlasse ich das Hotel, um um 9 Uhr die erste Tram in Richtung Strand zu nehmen. Außer mir sind noch ungefähr 10 weitere Pilger auf diese Idee gekommen. Und so sitzen wir gemeinsam in einer halb leeren historischen Straßenbahn und zuckeln los. Unten angekommen stelle ich alsbald fest, dass die Anzahl der Pilger auf den camino portugués um einiges höher ist als auf meinen beiden letzten Wegen. Der portugués ist meines Wissens nach dem francés der Weg mit dem höchsten Aufkommen. Die Länge von ca. 300 km macht ihn interessant für all jene, die zwei Wochen Zeit haben, um in Santiago anzukommen. In dieser Zeit sollte er allerdings auch bequem zu schaffen sein.

 

Bereits nach 30 Minuten lege ich mein erstes Päuschen ein, denn ich muss auf Toilette. Da es die ganze Zeit an der Uferpromenade entlang geht, kann man nicht mal eben hinter einem Baum das Notwendige erledigen. Danach geht es zwei Stunden dahin, bis ich endlich Porto und das angrenzende Matosinhos verlasse und die Anzahl der Strandbesucher deutlich abnimmt. Ich stelle fest, dass ich im Pilgermodus bin. Ich grüße jeden Vorbeiziehenden freundlich, wünsche Bom caminho und wäre bereit für einen kleinen Plausch. Niemand, wirklich niemand hat mir mit dem Pilgergruß geantwortet! Bestenfalls kam ein Olá, manchmal nur ein fragender Blick. Bom dias und Bom caminhos wurden mir jedoch zahlreich von der einheimischen Bevölkerung entgegen gebracht. Die wissen halt wie‘s geht. Ich gebe meinen Mitläufern mal noch ein, zwei Tage Zeit, um in den richtigen Flow zu kommen und sich mit den Gepflogenheiten vertraut zu machen. Vielleicht wird es ja morgen schon besser.

 

Am Stand entlang geht es in Richtung Norden. Gelbe Pfeile brauche ich keine, das Meer zur linken gibt genug Orientierung. In einer kleinen Ortschaft meint ein etwas heruntergekommener älterer Mann, wenn ich nach Santiago will, solle ich links laufen, obwohl der Pfeil gerade aus zeigt. Der Tipp des Mannes führte mich anstatt durch den Ort über einen hübschen Strandweg an der Ortschaft vorbei. Nette Leute, diese Portugiesen!

 

Ich überhole zwei Pilgerinnen (beide vielleicht Mitte 20) im Sportoutfit, die mit ihren Wanderstöcke rhythmisch auf den Holzstegen klappern und grüße freundlich. Keine Antwort. Die zwei laufen nun direkt hinter mir und ich identifiziere sie als Deutsche. Sie steigern ihr Tempo, überholen mich nun ihrerseits. Kurze Zeit später machen Sie Rast, ich ziehe erneut an ihnen vorbei, versuche es nochmal mit dem Pilgergruß. Wieder nichts. Blöde Weiber. Die zwei versprühen eine äußerst unentspannte, kompetitive Atmosphäre und ich hoffe, dass ich sie nicht jeden Tag treffe. Vermutlich gehen Sie ab Vila do Conde weiter in Richtung Central, ich treffe sie jedenfalls nicht wieder.

 

Die Etappe zieht sich ganz schön in die Länge. Könnte aber auch an meiner Kondition liegen. War ja auch die erste Etappe, ich darf nicht so streng mit mir sein. Irgendwann komme ich dann aber doch in Vila do Conde an und finde nach kleinen Schwierigkeiten und wiederum Hilfe der einheimischen Bevölkerung mein Hotel dann doch noch. Nach dem Blick in den Spiegel fällt mir überhaupt erst auf, was für einen hübschen Sonnenbrand ich habe. Besonders die Waden und der Nacken sind betroffen (klar, die Sonne scheint meist von hinten), aber auch die Arme und das Gesicht haben einiges abgekriegt. Wei oh wei, ich muss echt besser aufpassen. Auf dem Weg zum Aquädukt kaufe ich mir erstmal eine Sonnencreme. Sowas hab ich sonst nicht im Handtäschen, ich lerne es einfach immer erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist...

 

Zum Schluss noch lecker gespiesen und um halb 8 liege ich tatsächlich schon im Bettchen. Morgen erwartet mich mit 23 km eine kurze Etappe. Das ist aber auch gut so, denn morgen ist der letzte Tag mit richtig gutem Wetter für die nächsten Tage und ich habe ein hübsches Hotelzimmer mit Poolblick, das auf mich wartet.

5.5.2019

Vila do Conde - Esponsende (28 km, nicht 23!)

Vila do Conde ist wirklich schön. Das habe ich mir gestern bei meiner Ankunft schon gedacht und heute morgen, als ich durch den Ort in Richtung Meer schlendere, bin ich immer noch hin und weg. Das ist das eigentlich Schöne beim Jakobswegs-Pilgern, dass du durch all diese hübschen Orte kommst, in die du sonst im Leben nicht hingefahren wärst weil du noch nie von Ihnen gehört hast.

 

Anstatt der gelben Pfeile zu folgen, gehe ich wieder direkt zum Meer und dort nach rechts Richtung Norden. In Vila do Conde trennen sich gewissermaßen die beiden Varianten „Küstenweg“ und „camino central“. Eigentlich trennen sie sich schon in Porto, aber in VdC gibt es auch einen Abzweig. Auf dem ersten Stück der heutigen Etappe treffe ich indes auch nur wenige Pilger, definitiv deutlich weniger als gestern. Der Weg geht eigentlich weiter wie am Vortag, an Uferpromenanden entlang, über Holzwege quer durch die Dünen und durch kleine Dörfer. Ich komme an einer Bar vorbei, aber es ist erst 11 und ich bin heute gut im Flow, daher ziehe ich weiter. Hätte ich gewusst, dass sich die nächsten 2 Stunden keine Möglichkeit zur Einkehr mehr bieten würden, der Weg im weiteren Verlauf ausschließlich der Landstraße folgt und durch endlose Gewächshausanlagen verläuft, hätte ich definitiv anders entschieden. Ich überhole eine dicke Rothaarige, sage „Olá, bom caminho“ und bekomme außer einem erschrockenen Blick nur ein Brummeln. Schade, dabei dachte ich, dass der Pilgergruß nun schon bekannt sein sollte, nachdem mich heute morgen im Hotel schon ein Ehepaar damit verabschiedet hatte aus dem Frühstücksraum. Wohl nicht.

 

Der Weg am Meer endet auf einem Parkplatz. Der Pfeil zeigt rechts, weg vom Strand. Allerdings sehe ich doch bereits einen neuen Holzweg „under construction“, den nehme ich. Der Holzweg ist in diesem Falle wörtlich zu verstehen, ich muss umkehren und lande nun auf einer kleinen Straße, die ich die nächsten 1,5 Stunden kaum verlassen werde. Die dicke Frau ist wieder vor mir, wird wieder überholt, brummelt diesmal nix sondern ignoriert mich. Na dann. An einer kleinen Kirche treffe ich dann tatsächlich mal Pilger, die mit mir reden. Wir verabschieden uns vorerst, in der nächsten Bar wollen wir uns alle wieder treffen. Dazu kommt es nicht.

In Fão gibt es einige Bars, aber keine ist nach meinem Geschmack, denn nirgends kann man draußen sitzen und ich würde so gern meine Schuhe ausziehen. Da es nun nur noch wenige Kilometer sind bis zu meinem Hotel, ziehe ich durch. Am Ende werde ich 28 km ohne Pause durchgelaufen sein in sensationellen 5 Stunden und wissen was es bedeutet, sich einen Wolf zu laufen, im ursprünglichen Sinne.

 

Mein Hotel ist klasse. Es verfügt über einen großen Pool und sämtliche Annehmlichkeiten. Bereits an der Rezeption entdecke ich eine Deutsche mit gelben Büchlein in der Hand, immer ein untrügliches Zeichen. Am Pool treffen wir uns wieder, unterhalten und sehr nett und verabreden uns später zum Abendessen im Hotelrestaurant. Laufen will heute niemand von uns beiden mehr. Sabine aus Stuttgart ist studierte Pianistin und Alphornbläserin (!) und macht ihren Weg allein, weil ihre Tochter gerade im Austauschjahr in Irland ist. Sie macht aufgrund ihrer Knieprobleme winzige Etappen (kaum mehr als 10 km) und läuft strickt nach Beschreibung im Buch. Gelbe Pfeile sind ihr bisher kaum aufgefallen. Als ich sie nach dem Ort ihrer ersten Übernachtung frage, sagt sie mir ihn, ich kenne ihn nicht. Das ist direkt zwischen irgendwas und irgendwas anderem. Sie nennt mir zwei weitere Ortsnamen, die ich ebenfalls nicht kenne. Sind wir den selben Weg gelaufen? Das ist der Unterschied zwischen uns: da sie mit Buch gelaufen ist, weiß sie genau, durch welche Orte sie gekommen ist, während ich eigentlich nur Start und Ziel benennen kann. Eine Müdigkeit überfällt mich, vielleicht auch dadurch verursacht, dass Sabine mir jede Geschichte drei mal erzählt. Warum ihr Rucksack nur 5,9 Kilo wiegt, weiß ich nun en detail, ebenso dass ihr Rock gleichzeitig Halstuch und Strandtuch ist und ihre Badehose in Kombination mit der Leggins die zweite Wanderhose ersetzt et cetera, et cetera. Wir verabschieden uns und ich falle so müde ins Bett, dass ich nicht mal mehr eine halbe Folge Netflix schaffe. An wen nur erinnert mich Sabine? Vielleicht fällt es mir noch ein...

6.5.2019

Esposende - Viana do Castelo (27 km)

Der Weg geht heute nicht mehr am Meer entlang. Stattdessen erwarten mich Eukalyptuswälder, kleine Flüsschen und auch einige Hügel. Die Etappe ist mit 27 km nicht sonderlich lang, allerdings muss Viana do Castelo, mein heutiges Ziel, recht hübsch sein und eine kleine Runde durchaus lohnen. An einer Bar lerne ich ein nettes Ehepaar kennen. Wir unterhalten uns erst auf englisch. Auf meine Frage, woher sie seien, antworten sie Málaga. Na dann können wir auch spanisch miteinander sprechen. Woher ich denn sei. München. Na dann können wir auch deutsch sprechen. Miguel und Andrea sind seit 35 Jahren verheiratet. Miguel spricht auch deutsch, das hat er nach der Hochzeit angefangen zu lernen. So entwickelt sich ein lustiger Mischmasch, bei dem die Sprache zeitweise von einem Satz auf den nächsten wechselt, je nachdem wer gerade was sagt. Die beiden sind sehr angenehme Pilger und wir laufen gemeinsam die verbleibenden 7 km. Wir haben uns zufällig auch im gleichen Hotel einquartiert. Da die beiden mit dem Auto angereist sind, das irgendwo in Viana steht und sie etwas aus dem Koffer brauchen, verabschieden wir uns erstmal. Wir treffen uns garantiert zufällig wieder. Leider wird wohl nicht so sein, denn beim Verfassen dieser Zeilen bin ich bereits in Baiona und habe sie glaub ich gestern abgehängt.

 

Unbedingt gesehen haben muss man in Viana die Aussicht von der Kirche Santa Luzia. Also fahre ich mit der Zahnradbahn rauf und schaue mir Kirche und Umgebung ausgiebig an. Nach getaner Besichtigung dürstet mich nach einem Bier. Da ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe, haut das Bier ordentlich rein, ich bin ziemlich betrunken. Eigentlich wollte ich ja im Anschluss noch in die Kathedrale, aber daran ist nicht zu denken. Stattdessen steuere ich erstmal mein Hotel an. Ich telefoniere mit Bernardo und Oma und setze mich wieder in Bewegung auf der Suche nach Essbarem. Der nette Rezeptionist, der mich seit meinem Check-in immer mit Mister Torsten anredet, empfiehlt mir 3 Restaurants. Das erste ist quasi um’s Eck und daher meine erste Wahl. Ich finde es nicht, also auf zum zweiten. Das finde ich problemlos, allerdings macht es erst um 19 auf, also in circa 10 Minuten. Dann also los zum dritten, einem Fischrestaurant. Dort angekommen stelle ich fest, dass dort sogar erst um 19:30 geöffnet wird. Es ist aber auch verhext. Ich bleibe dort, esse später gut, trinke gut und gehe ins Hotel zurück. Mittlerweile hat es angefangen zu regnen.

 

Sabine erinnert mich übrigens an Bea aus meinem Business-Englischkurs bei der Allianz. Die war auch so eine Wundertüte.

7.5.2019

Viana do Castelo - La Guardia (34 km)

Mir ist immer noch ganz schlecht. Ich glaube, der Fisch war nicht der beste. Um 2 Uhr bin ich jedenfalls wach geworden und hab mir alles noch mal durch den Kopf gehen lassen. Nun ja, wir werden sehen, wie es heute wird. Bevor ich mich wieder auf den Jakobsweg begebe, gehe ich aber noch schnell zur Kathedrale, die ich ja gestern nicht mehr geschafft habe.

 

Laut Rezeptionist gibt es zwei Wege nach Norden: einen an der Küste entlang und einen durch die Dörfer. Ich entscheide mich für den markierten, und der geht definitiv nicht zur Küste sondern gleich mal bergauf. Er beginnt damit ganz ähnlich wie der gestrige und verläuft hübsch aber auch weitgehend unspektakulär. Zwischendurch treffe ich tatsächlich die dicke rothaarige Frau von Tag 1 wieder. Ich probiere es noch mal, wünsche bom caminho und ernte: nichts. Sie schweigt und ignoriert mich, fotografiert stattdessen die Landschaft. Ich vermute, sie ist Russin, die kein Wort gar nichts spricht. Noch mal grüße ich die ganz sicher nicht!

 

In Âncora mache ich Mittagspause. Danach geht der Weg ganz wundervoll wieder am Meer entlang. Portugal ist sehr bemüht, den Küstenweg dahingehend auszubauen, dass man wirklich die meiste Zeit am Meer entlang gehen kann. Aber was bedeutet das wohl für die kleinen Bars wie die gestern, in der ich Miguel und Andrea kennen gelernt habe? Vermutlich nichts Gutes.

 

Caminha ist die letzte portugiesische Stadt auf meinem Weg. In der Turi-Information erkundige ich mich nach den Abfahrtszeiten der Fähre, die mich nach Spanien überschiffen soll. Die nächste geht um 16 Uhr, es ist 15:55. Ich nehme die Beine in die Hand und sprinte zum Hafen, denn die nächste Überfahrt ist erst in einer Stunde möglich. Ich kaufe das Ticket, besteige die Fähre und schon geht es los. Irgendwie vermisse ich Portugal ja jetzt schon. Ein nettes Land, in dem ich mich sehr wohl gefühlt habe. Und mein Portugiesisch werde ich von nun an auch nicht mehr verbessern können. Schade.

 

Drüben angekommen stelle ich fest, dass über eine Stunde vergangen ist. Eigentlich waren es nur 15 Minuten, aber Spanien liegt ja in einer anderen Zeitzone, daher ist es nun schon kurz vor halb sechs. Ich rufe schnell in meiner Unterkunft an und gebe Bescheid, dass ich die Check-in-Zeit nicht einhalten kann. Ningún problema sagt man mir und ich bin froh, wieder problemlos kommunizieren zu können.

 

Das Hotel ist nun wirklich die Wucht. Ein altes Konvent, heute ein Hotel, aber eigentlich mehr Museum. Ich sage der Rezeptionistin, dass die Bücher, sollten sie echt sein, schon einige hundert Jahre auf dem Buckel haben müssten. Hier ist alles echt, versichert sie mir. Deshalb sind manche Exemplare auch geschützt unter Glas. Anstatt eines Spaziergangs durch die besonders bei Regen nicht sehr reizvolle Stadt schlendere ich durch das Hotel und genehmige mir zwei Gläser Gratis-Portwein im „Aufenthaltsraum“.

 

Heute steht mir der Sinn nicht wirklich nach Fisch, daher frage ich mich durch, wo man was anderes bekommt, Pizza zum Beispiel. Man guckt mich ratlos an, schickt mich zwei mal irgendwo hin, wo es angeblich eine Pizzeria gibt, die ich natürlich nicht finde. Stattdessen lande ich in einer typischen Tapasbar. Ich bestelle einen Salat und Risotto und das Bediensel guckt mich mit großen Augen an. So viel will ich essen? Ich komme mit ihr und der Köchin überein, erstmal nur Risotto zu bestellen. Wenn ich dann immer noch Hunger habe, macht sie mir noch einen Salat, obwohl die Küche dann schon offiziell geschlossen haben wird. Sie muss auch für mich nicht mehr geöffnet werden, denn die Portion Risotto mit (echten) Steinpilzen, für die ich 7 Euro zahle, ist gigantisch. Bei typisch galizischem Regen schlurfe ich zurück in mein Museum.

8.5.2019

La Guadria - Baiona (34 km)

Es sind nun wieder jede Menge Turigrinos unterwegs, aber die, mit denen ich heute kleine Plaudereien gehalten habe, sind wirklich nett und beherrschen alle den Pilgergruß. Aus bom caminho ist nun wieder buen camino geworden. Auch die Landschaft ist rauer. Waren es in Portugal vorwiegend Sandstrände, die meinen Weg begleiteten, sind es nun durchweg schroffe Felsen. Das Wetter hält sich Gott sei Dank. Seit Tagen ist Regen angesagt, aber bis auf einen fiesen Schauer in der Mitte der Etappe bin ich trocken geblieben und gegen Nachmittag kommt sogar noch die Sonne raus.

 

Eine Frau grüßt aus ihrem Vorgarten heraus jeden vorbeiziehenden Pilger, wünscht buen camino und fragt nach der Nationalität. Wie süß. Aus einem Geschäft heraus winkt mir ein Mann zu und streckt den Daumen nach oben.

 

Die meisten Pilger wandern heute nach Oia - ein weiterer Ort, der mir entgangen wäre, hätten ihn mir die Turigrinos nicht genannt. Einige wenige schlagen sich wie ich bis Baiona durch. Der Weg ist toll, gegen Ende geht er ziemlich steil über einen Berg. Die Felsen, über die man dabei kraxelt, haben was vom Inca-Trail nach Machu Picchu. Das ganze Unterfangen ist ziemlich anstrengend und als ich dann gegen 5 in Baiona ankomme, tun mir die Beine deutlich mehr weh als bisher. Außerdem spüre ich leichte Wadenkrämpfe und fange an, beim Aufstieg mit jedem Schritt eine leichte Dehnung zu verbinden. Letztlich komme ich ohne Blessuren an mein Ziel.

 

Baiona ist wirklich hübsch, hat ein bisschen was von A Coruña, nur viel kleiner. Das sage ich auch meiner kampferprobten Empfangslesbe im Hotel. Sie hat mich aus dem Auto raus schon gesehen, sagt sie mir, gegen 15:30 war das. Wo ich denn heute gestartet sei. In La Guardia. Dort wohnt sie, ist ihre Antwort. Ich frage mich, wie man im hübschen Baiona arbeiten kann aber es vorzieht, in La Guardia zu wohnen, sage aber nichts. Verstehe einer die Lessies...

 

Das Hotel ist über einer dazugehörigen Bar gelegen, daher nicht nur hellhörig sondern auch recht laut. Zudem riecht es von der Nachbarzimmertür aus deutlich nach Gras. Mal schauen, wie die Nacht wird...

 

Nach einer ausgiebigen Pause auf meinem Hotelbett drehe ich noch gemütlich eine Runde um die Halbinsel und suche mir dann ein Lokal, in dem ich zum doppelten Preis von gestern die halbe Portion Risotto bekomme. Die beiden Deutschen am Nachbartisch beklagen sich über „europäische Preise“ ihres Bieres. Gut, mit 2,25 Euro deutlich teurer als in Portugal (1 Euro war das billigste, das ich dort getrunken habe), aber hey, das Lokal ist cool, man sitzt hübsch in der Abendsonne und es gibt keine Werbung für preisgünstige Pilgermenüs. Also was erwartet ihr?

 

Nun bin ich wieder im Hotel, habe die letzten drei Tage nachgetragen und werde mich bald zur Ruhe (hoffentlich, bis jetzt ist es noch ruhig) betten. Morgen soll es regnen wie aus Kübeln. Vielleicht habe ich aber auch wieder Glück.

9.5.2019

Baiona - Vigo (31 km)

Heute ist ein anstrengender Wandertag. Laut App habe ich 26 km vor mir. Das sollte doch gut in 6 Stunden machbar sein, gegen 15 Uhr plane ich meine Ankunft in Vigo. Die Strecke ist passabel gekennzeichnet. Mit ein bisschen Suchen findet man den gelben Pfeil in der Regel schnell. Baiona ist entweder größer als gedacht, oder die Orte gehen nahtlos in einander über. Es geht immer wieder bergauf und bergab und irgendwann folgt der Jakobsweg dem Verlauf eines kleinen Baches. Hier ist es sehr hübsch und da ich keine Pfeile erspähe, beschließe ich, dem Bach einfach weiter zu folgen. So gelange ich schließlich bis an den Strand. Nun ja, hier ist es zwar auch hübsch, aber hier bin ich definitiv falsch, also frage ich nach. 3 Spanier geben 3 verschiedene Antworten, die sich aber in einem Merkmal gleichen: immer einer der Hauptstraßen folgen. So würde ich ohne Umwege nach Vigo gelangen. Auf Hauptstraße habe ich ja nun wirklich gar keine Lust, also laufe ich auf eigene Faust wieder in Richtung Berge, weg vom Meer. Mein Plan: irgendwann werde ich entweder einen Pilger oder einen gelben Pfeil entdecken. Ich frage besser noch mal nach, schließlich bin ich schon eine Weile unterwegs. Wieder heißt es, folge der Straße, allerdings soll ganz oben das Camino-Zeichen auf mich warten. Letztlich kämpfe ich mich insgesamt 1,5 Stunden an viel befahrenen Straßen entlang bergauf, bis ich endlich wieder den gelben Pfeil entdecke. Ob das Unterfangen nun ein Umweg für mich war oder das Gegenteil, kann ich nicht sagen. Zumindest bin ich wieder richtig und werde hoffentlich wieder durch blühende Landschaften geführt anstatt durch Vororte.

 

Tatsächlich führt der Weg nun steil und immer steiler bergauf in Richtung Wald. Als ich endlich ganz oben angekommen bin, heißt es, nun solle ich quasi einen Parallelweg wieder runter gehen, nur um durch ein zugegebenermaßen hübsches Stück Natur zu kommen. Soll das euer Ernst sein? Hätte ich das nicht auch viel einfacher haben können, indem ich einfach weiter unten geradeaus gegangen wäre? Wenigstens ist es nun wieder schön grün um mich herum. Man muss schon zugeben, dass die Spanier sich ordentlich Mühe geben, den Weg durch ansprechendes Terrain zu führen. Auch wenn das immer wieder Umwege bedeutet.

 

Ich komme gegen 14 Uhr am Stadtrand von Vigo an und mache eine Pause. Der schnellste Weg würde mich in knapp 90 Minuten zu meinem Hotel bringen. Aber der Jakobsweg ist selten der schnellste Weg. Er geht irgendwo hinter der Stadt rum. Ich behalte das Hotel in googlemaps im Auge, aber wirklich nahe komme ich ihm nicht. Irgendwann entschließe ich mich, den camino zu verlassen und querfeldein in Richtung Hotel zu laufen. Gegen 17 Uhr komme ich - nach einer weiteren Bierpause versteht sich - dort an. Vigo, die mit ca. 300.000 Einwohnern größte Stadt Galiziens, ist wenig sehenswert, was vielleicht am Regen liegt, der am Nachmittag eingesetzt hat. Aber auch sonst ist es eine uncharmante Stadt. Ich drehe eine kleine Runde, esse was und gehe schlafen.

10.5.2019

Vigo - Pontevedra (38 km)

Den Weg aus Vigo raus zeigt mir meine App vorbildhaft, bevor ich nach ca. einer Stunde wieder auf dem Hauptweg bin. Es regnet vor sich hin, nicht schlimm, aber Sonne wäre schöner. Die nächsten 15 km geht es hübsch eben durch den Wald bis nach Redondela, wo ich ein Päuschen einlege. Hier treffen sich nun wieder alle Varianten des portugiesischen caminos, was man an den Massen an Pilgern deutlich merkt. Da es bereits früher Nachmittag ist, sollten die meisten Pilger hier bereits am Ende ihrer Tagesetappe angekommen sein, weshalb ich davon ausgehe, auf meinem weiteren Weg nach Pontevedra nicht allzu vielen Wanderern begegnen zu werden.

 

Ich komme durch Vao, ein sehr hübsches Städtchen, und trinke ein Bier. Ich sehe ein Mädel an der Ampel ungeduldig auf grün warten. Sie hat Stöpsel in den Ohren und wirkt getrieben. Tatsächlich setzt sie sich gleich an den Tisch neben mich, fängt alsbald ein Gespräch auf deutsch an und es wird wieder Erwarten ganz lustig mit ihr. Sie drängt mir ihre Telefonnummer auf, pflichtbewusst schicke ich ihr eine WhatsApp. Sie schickt mir einen Techno-Song (Millenium von Martin Pastor), der sie die letzte Stunde gepuscht hat. Marlene aus Berlin, wir unterhalten uns über die Berliner Szene, das Berghain, Lustigmacher, dann habe ich keine Lust mehr und schicke mich schnell an zu gehen, bevor sie noch auf die Idee kommen kann, mich nach Pontevedra zu begleiten. So viel positive Energie ist definitiv zu viel für mich, ich will wieder meine Ruhe. Später wird sie mir noch schreiben, dass sie nun auch nach Pontevedra geht und ich froh sein, ihr eine Stunde voraus zu sein.

 

Auf dem Weg treffe ich ein „Päarchen“, dass vorhin an besagter Ampel Händchen gehalten hat. Sie kommt aus der Schweiz, er aus Tschechien. Wir kommen über belanglosen Smalltalk nicht hinaus. Sie ziehen ihre Schuhe aus, um barfuß zu laufen und bezeichnen sich dabei als „two crazy pilgrims“. Ich lasse mich zurück fallen. Too much craziness for me. Die zwei scheinen eh auch lieber ihre Ruhe zu haben. Umso besser. In Pontevedra komme ich dann allein und bei Sonne an. Zwei wanderfreie Tage mit Bernardo und Schwiegermutti stehen mir bevor.

13.5.2019

Pontevedra- Pontecesures (42 km)

Das Wetter hat sich rasant gebessert. Das Thermometer kraxelt auf 30 Grad zu. Umso blöder, dass ausgerechnet heute meine längste Etappe auf mich wartet und ich erst um 10 los komme. Ich laufe mit Massen an Turigrinos. Den Vogel schießt eine Gruppe Rumänen ab, die in Jeans und (die Damen) teilweise in Ballerinas gänzlich ohne Gepäck unterwegs sind. Alle 3 km wartet ihr Bus auf sie. Ich habe ja generell meinen Frieden mit den Turigrinos geschlossen, nachdem ich zwischen La Guardia und Baiona wirklich sehr nette kennengelernt habe, aber diese hier verdienen die Compostela nun wirklich nicht! Viele wandern paarweise mit ihrem Angetrauten, gucken einen nicht an, wenn man vorbei läuft und grüßen nicht zurück, wenn man buen camino sagt. Gehts noch?

 

Bis Caldas de Reis geht das so. Dort komme ich um 14 Uhr an und mache Mittagspause. Danach geht es weiter, die verbleibenden 20 km bis nach Pontecesures. Auf der zweiten Hälfte treffe ich original niemanden! Ich frage mich, was man als Pilger macht, wenn man einfach nicht mehr kann und niemand hinter einem her latscht, um einen aufzusammeln.

 

Ich habe gestern meine Unterkunft über booking gebucht, so wie alle bisherigen Unterkünfte auf diesem Weg auch und finde das sehr entspannend. Bei Facebook hat sich jemand böse aufgeregt über Pilger wie mich, da solle man doch gleich zu Hause bleiben. Bei meinem ersten Weg war ich da auch noch anders drauf, bin einfach gelaufen, habe geschaut, wie weit ich komme und mir dann was gesucht. Aber diesmal weiß ich die Etappen, weil ich ein bisschen genauer planen musste, also warum nicht buchen? Die Camino-Zank-Gruppe auf Facebook (gibt es wirklich und ich bin Mitglied) ist manchmal schon recht kleinkarriert. Aber die Posts dort sind meistens sehr lustig. Ich habe den erwähnten Post unkommentiert gelassen.

 

Mittlerweile habe ich meine dritte Literflasche Wasser fast geleert. Es ist aber auch heiß heute! Hinter mir entdecke ich ein Auto, dass ich erst für die Polizei halte. Es ist die proteccion civil. Der Wagen hält neben mir, ich werde gefragt, woher ich heute komme und wohin ich noch will. Ich frage den Fahrer, ob er den Camino abfährt, um liegengebliebene Pilger, die nicht mehr können, einzusammeln. Genau so ist es. Na dann bin ich ja beruhigt. Zum Schluss gibt er mir noch einen Stempel (unglaublich, wer alles Stempel im Angebot hat) und entfernt sich wieder. Ich trinke noch ein Bier, bevor ich die letzten Kilometer in Angriff nehme und gegen 20 Uhr in meinem Hotel ankomme. Ohne Abendessen, denn die Küche meines Hotels hat heute geschlossen und mehr als eine Etage die Treppen runter laufe ich heute nicht mehr, falle ich ins Bett.

14.5.2019

Pontecesures- Santiago (31 km)

Nach dem Frühstück mache ich mich auf den Weg. Da es heute laut Plan um die 30 km sein müssen, stresse ich mich nicht sondern mache in Padrón, dem nächsten Ort auf meinem Weg, noch einen lohnenswerten Abstecher zum Santiagüito del monte, dem Jaköbchen vom Berg. Hier ist es ganz idyllisch und weder beim Aufstieg noch beim Abstieg treffe ich andere Pilger. So habe ich diesen reizenden Ort ganz für mich allein.

 

Auf dem weiteren Weg treffe ich Birgit aus Burghausen und ihre Mutter. Wir gehen ein Stück gemeinsam aber sie schieben noch eine Übernachtung in Teo ein. 30 km wären definitiv zu viel für die zwei. Ich hätte ja gern eine Kaffeepause, aber die Bars sind alle an der Hauptstraße, also ziehe ich mal wieder weiter.

 

Ich habe mir ein paar Regeln ausgedacht für den Besuch von Bars, also passt gut auf:

  • Nimm nicht die erste, denn es kommt manchmal noch eine weitaus schönere und dann ärgerst du dich.
  • Nimm die erste nur, wenn nicht damit zu rechnen ist, dass noch eine kommt.
  • Wenn du nicht genau weißt, ob damit zu rechnen ist, dass noch eine kommt, nimm doch die erste, sonst hast du am Ende Pech gehabt.
  • Nimm keine, vor der ein alter, rauchender, hustender Spanier steht - was in 50% der Bars der Fall ist. Es könnte nämlich sein, dass er dein  Essen zubereitet.

In meinem Fall kam doch noch eine sehr hübsche. Ich hatte Glück.

 

Es sind nun noch 15 km, das sollte doch machbar sein! Ich fange an, Miss Saigon zu trällern. Das hat mich vor 4 Jahren auch schon gepuscht. Es geht stetig bergauf und es passiert häufiger, dass ich lauthals singend an am Wegrand kampierenden Pilgern vorher ziehe, die ich erst im letzten Moment sehe. Was soll‘s, ICH bin jedenfalls noch in Bewegung!

 

Eine Russin fragt mich „Teo?“. Ich antworte: ich gehe davon aus, da es auf den Mülleimern steht. Sie fragt weiter: „Algebruuuh?“ Ich brauche einen Moment bis ich verstehe, dass sie Albergue, Herberge meint. Ich hab keine Ahnung, bin ich das Fremdenverkehrsamt? Da ich ihr nicht helfen kann, gehe ich weiter.

 

Die letzten km sind die Hölle. Es geht nun wechselweise bergauf und bergab, stets über Asphalt. Meine Füße brennen, ich brauche dringend eine Pause und Wassernachschub. Kurz vor Santiago kommt tatsächlich noch mal eine Bar, a paradiña heißt diese. Hier kann ich natürlich nicht vorbei laufen! (Man suche bei YouTube Paradinha von Anitta!) Ich trinke zwei Bier, und einigermaßen betrunken fühle ich mich nun bereit für die letzten 4,5 km.

 

Immer noch ziemlich betrunken komme ich der Kathedrale immer näher, und wen entdecke ich als erstes: den Tschechen und die Schweizerin. Wir kennen uns zwar eigentlich gar nicht, trotzdem umarmen wir uns und beglückwünschen uns zu unserer Ankunft.

 

Auf dem Vorplatz frage ich eine Radpilgerin, ob sie von mir ein Foto machen kann. Susan aus Miami. Ich sage ihr, dass ich jetzt erst mal meine compostela holen gehe. Sie hat keine Ahnung, was das ist, geht aber einfach mal mit. Vielleicht will sie ja auch eine. Alsbald erzählt sie mir ihre komplette Vita, von Scheidung über ihre depressive Tochter (sie hat derer drei - was ist das eigentlich mit den Amis und ihren verkorksten Kindern? vgl. camino primitivo ) und so weiter und so fort. Aber dennoch ist sie ganz witzig und so gehen wir im Anschluss noch ein Bier trinken und entdecken unsere gemeinsame Liebe für Les Miserables. In der Compostela-Schlange mache ich irgendwie immer witzige Bekanntschaften. Nach dem Bier gehe ich ins Hotel und dusche.

 

In den Gassen spricht mich ein Russe auf Russisch an. Offenbar glaubt er, mich zu kennen. Ich schaue ratlos und er zieht weiter. Später am Abend spricht mich ein älterer Herr an, der meint, mich aus einer Herberge zu kennen. Ich spiele diesmal mit bin mir aber sicher, dass wir uns noch nie begegnet sind. In einer Herberge war ich sowieso nicht auf meinem camino.

 

Ich habe Riesenkohldampf, also gehe ich in eine Pizzeria. Das Fräulein ist bezaubernd und ich hinterlasse gutes Trinkgeld. Marlene aus Berlin schreibt mir. Sie ist heute angekommen (erst heute?) und ob ich Lust habe, mit ihrer Camino-Clique ein Bier zu trinken. Na klar! So lerne ich denn auch Anna aus Heidelberg, die erst 19-jährige, extrem kluge und wundervoll positive Maggie vom Bodensee und den Juristen Johannes aus Düsseldorf kennen. Eine sehr angenehme Gesellschaft. Johannes ist kein typischer Jurist, stelle ich später fest. Ich sei auch kein typischer Allianzer, meint Marlene. Sie wiederum auch keine typische Arbeitslose, ist meine Antwort. Es ist sehr chillig. Mit Johannes wäre ich im wahren Leben vermutlich auch befreundet, wir verstehen uns jedenfalls blendend.

 

Meine Herbergsphobie wird nicht weiter kommentiert, erst als Marlene meint, na wenn du es dir leisten kannst, wird es mir klarer: ich bin kein Studiumabbrecher/Abiturient/Arbeitsloser oder sonst was auf Selbstfindungstrip. Das hier ist mein Urlaub. Daher leiste ich mir schlichtweg einen Komfort, den sich meine Tischnachbarn nicht leisten (können).

 

Wir wollen noch weiterziehen zum Vorplatz der Kathedrale, denn dort sei Marlenes Hippie-Päarchen. Die zwei haben sich auf dem camino kennen gelernt. Ich ahne es schon. Und natürlich treffen wir dort meine beiden Begrüßer von vorher wieder, Monique und Radim (nun erfahre ich auch ihre Namen). Wir trinken Bier, Marlene raucht einen Joint und ist danach hinüber und gegen halb eins verabschieden wir uns alle, diesmal wirklich.

 

Ein wundervoller Tag voller überraschender und schöner Begegnungen ist zu Ende gegangen. Und nebenbei auch mein vierter Jakobsweg.

15.5.2019

Santiago - Alto da Pena (33 km)

Gegen 10 Uhr mache ich mich langsam fertig. Wohin es heute gehen soll, weiß ich noch gar nicht genau. Ich laufe mal in Richtung Finisterre mangels einer besseren getroffenen Entscheidung. An der Kathedrale vorbei kommend sehe ich doch tatsächlich die Pippi Langstrumpf-Imitation im Minnimaus-Kleid, die mich beim Frühstücksbüffet in Vila do Conde so genervt hat, weil sie unbedingt lautstark einen Post für Insta machen musste, und dabei den gesamten Frühstücksraum unterhalten hat (hab ich nicht erwähnt, gell? Muss ich nachtragen). Gibts ja nicht, dass ich die noch mal entdecke...

 

Auf den ersten Kilometern überlege ich tatsächlich noch, wieder zurück zu gehen und den Bus nach Lugo oder A Coruña zu nehmen, um mich von dort aus noch mal in Richtung Santiago durchzuschlagen, lasse es aber bleiben. Ich kenne den Weg schon ganz gut von den letzten beiden Malen, daher suche ich keine Pfeile sondern laufe vor mich hin. Eine Menge Pilger kommen mir entgegen. In meine Richtung scheinen nicht so viele unterwegs zu sein. Vielleicht sind die aber auch schon vorher gestartet. Ich rufe mal im Hotel Mezquita an und frage, ob sie ein Zimmer haben. Sie sind voll. Mist. Ich checke booking und quartiere mich in einer Herberge zwei Dörfer hinter Negreira ein (Einzelzimmer, eh klar). Da ich recht spät los bin und nun doch über 30 km vor mir habe, ziehe ich das Tempo an. Ich treffe nun doch den ein oder anderen Pilger, kenne aber niemanden.

 

In Bars, die ich noch nicht kenne, mache ich Pause, sammele Stempels und komme nach einem unspektakulären Tag gegen 18:30 in meiner Herberge an. Groß essen mag ich heute nicht mehr. Ein Salat reicht mir völlig. Während die anderen Pilger brav gemeinschaftlich um 19:30 ihr Essen im Speisesaal serviert bekommen, sitze ich draußen und genieße die letzten Sonnenstrahlen. Das Fräulein ist ganz entzückend. Ich bedanke mich beim Zahlen für ihre ausgesprochene Freundlichkeit. „Das kostet mich doch nichts!“ sagt sie. „Mich aber macht es sehr glücklich.“ antworte ich. Morgen soll es regnen. Heute war es mit 26 Grad schon deutlich kühler als gestern (35), mal schauen wie kalt es morgen wird.

16.5.2019

Alto da Pena - Cee (47 km)

Heute will ich bis nach Cee kommen, das habe ich mir gestern Abend noch überlegt. Also stehe ich früh auf, so dass ich um 8 in die Spur komme. Ca. 47 km stehen mir bevor, das entspricht etwa 9,5 Stunden reiner Laufzeit (wegen später einsetzender Müdigkeit und einiger Anstiege wohl eher 10) plus Pausen. Vor 19 Uhr werde ich also wohl kaum ankommen.

 

Ich überlege, ob ich das hässliche Stück zwischen Vilaserio und Santa Mariña mit dem Taxi zurücklegen soll, das würde mir 9 unattraktive km sparen. Mal schauen, wie ich drauf bin, wenn ich in Vilaserio bin. Als ich dort ankomme, steht doch tatsächlich ein Taxi vor der Herberge, in der ich einmal übernachtet habe. Ist das ein Zeichen? Falls ja, ignoriere ich es und gehe stumpf gerade aus.

 

Ich komme durch die mir bereits bekannten ollen Dörfer. Nichts hat sich geändert. Ein paar Hunde lungern an der Straße rum und ich verzichte auf den Einsatz meiner Stöcker. Angeblich macht das Geklacker der Stöcker die Hunde wild. Gestern Abend kurz vor Alto da Pena bin ich vor einem eingezäunten Kläffer stehen geblieben und habe spaßeshalber einfach nur ganz schnell mit den Stöckern geklappert um zu sehen, was passiert. Junge, das Vieh ist durchgedreht, buchstäblich. Scheint also was dran zu sein.

 

Bisher hab ich meine Stöcker übrigens fast nicht genutzt, hab ich das schon erwähnt? Heute starte ich direkt mit Ihnen, denn bei der Entfernung werden sie zum Erfolg der Etappe maßgeblich beitragen.

 

Im letzten Dorf der scheußlichen Etappe, Vilar do Castro, gelingt es mir doch tatsächlich, eine Abkürzung zu finden, die mich nicht erst einmal quer durchs Dorf und dann außen rum wieder zurück schickt, sondern sich einfach daran vorbei schlängelt. Ich bin stolz auf mich, zumal mir das ganze auch bestimmt 15 Minuten Gehzeit spart. An der Kreuzung zwischen camino und meiner Abkürzung treffe ich die Leute wieder, die im Gegensatz zu mir keine Pause gemacht haben sondern direkt weiter gelaufen sind. Ha!

 

Ich kreuze später 4 lärmende Spanier und ziehe schnell an ihnen vorbei, höre sie aber auch noch 15 Minuten später, obwohl sie längst aus meinem Sichtfeld verschwunden sind. Ich überlege mir, ob das vielleicht der Grund für die außerordentliche Karriere von Montserrat Caballé gewesen sein kann, die ja vor allem durch das exzessive Zelebrieren ihrer pianissimi gefeiert wurde: eine leise Spanierin, sowas hat die Welt noch nicht erlebt.

Okay, die Gruppe waren eigentlich Portugiesen, aber die Story hätte nicht funktioniert, wenn ich sie gleich richtig wiedergegeben hätte und die Gedanken zur Diva kamen mir tatsächlich. Ein bisschen künstlerische Freiheit sei mir gestattet.

 

Vor mir laufen zwei Frauen, Mutter und Tochter vermute ich, beide stets um das perfekte Foto bemüht. Sie sehen mich aufziehen und geben Gas. Irgendwann wird es ihnen wohl zu viel, sie bleiben stehen und lassen mich vorbeiziehen. Wenn die wüssten, dass hinter mir die Horde Portugiesen anrückt...

 

Bei der nächsten Pause, bei der ich ein leckeres Bocadillo verschlinge, komme ich mit den Franzosen vom Nachbartisch ins Gespräch. Wieder fällt mir auf, dass die Franzosen lieber gebrochen spanisch kommunizieren als ein englisches Wort in den Mund zu nehmen.

 

Die Pausen habe ich mir heute übrigens gut überlegt: die erste war ein kleiner Kaffee-break nach ca. 2,5 Stunden. Jetzt, um 13 Uhr, mache ich Mittag und nachher, in Logoso, der letzten Station vor der Hammeretappe, werde ich noch ein Bier trinken. Wenn Spanier einen Kaffee bestellen, kommt es übrigens sehr oft vor, dass die Bedienung diesen mit einem guten Schuss würzt, Wodka, Rum, was gefällt, und das schon in den Morgenstunden. Na hoffentlich muss niemand mehr fahren...

 

Ich komme durch Olveiroa, meinem Ziel, hätte ich mich gestern in Negreira einquartiert. So jedoch beginnt nun die landschaftlich schönste Strecke für mich, erst rauf nach Logoso und dann 15 km nur durch den Wald bis nach Cee. Lange Etappen sind zum größten Teil Kopfsache. Wenn man weiß, was auf einen zukommt, denkt man schlichtweg von vornherein anders. Die ersten 20 km werden mehr oder weniger durchgezogen, bald ist ja Halbzeit. Hat man nur 30 geplant, denkt man nach 20, Gott sei dank bin ich bald da. So aber hat man diese Gedanken nicht oder eben erst viel später. Man muss sich nur darauf einstellen. Beim ersten Mal in Cee (damals von Vilaserio aus) habe ich ja noch getönt, ich hätte noch ein paar km dran hängen können. Nun, heute trete ich den Beweis an und hoffe, dass meine Kondition ähnlich gut ist wie vor anderthalb Jahren.

 

Fast an dem Punkt angelangt, bei dem sich die Wege nach Muxía und Finisterre trennen, entdecke ich doch tatsächlich zwei Pilger ein Stück hinter mir. Oben selbst fragt er mich mit einem unüberhörbaren deutschen Akzent: Albergue? Ich kenne die zwei doch von gestern, aus Alto da Pena! Hier gibt es keine Herberge mehr, kläre ich sie auf. Entweder sie gehen ca. 400 Meter zurück zum roten Haus, wo es wohl ein paar Betten gibt und hoffen das Beste, oder sie gehen auch die 15 km bis Cee. Nein, das schaffen sie heute nicht mehr. Wir machen Fotos vom jeweils anderen, danach trennen sich unsere Wege wieder. Hab ich den Weg also doch wieder für mich allein.

 

Der Weg ist wirklich landschaftlich ein Traum, geht aber, man glaubt es kaum denn man sollte sich ja in Richtung Meer bewegen, die meiste Zeit bergauf. Erst am Schluss geht es dann kilometerweit bergab. Außer 6 Radpilger überholt mich niemand und ich auch niemanden. Dann, kurz vor Schluss, treffe ich doch noch 3 Spanier, die heute von Vilaserio aus los marschiert sind. Eine sehr lustige Truppe ist das, mit Manolo aus Mallorca laufe ich die letzten 2 km gemeinsam und wir reden über alles mögliche. Uns tun die Haxn ordentlich weh. Subir cansa, bajar duele, sagt er mir eine spanische Wanderweisheit (bergauf macht müde, bergab tut weh). In Cee verabschieden wir uns, denn er muss auf seine 2 Kameraden warten, die wir abgehängt haben. Wir verabreden uns auf ein Bier, wenn wir uns das nächste mal sehen.

 

Gegen 19:20 laufe ich in meinem Hotel ein. Die Etappe hab ich gut durchgehalten aber nun merke ich, wie sehr meine Füße schmerzen und das auch noch 3 Stunden nach Ankomme. Morgen schlafe ich aus und nehme dann entspannt die letzte kurze Etappe in Angriff.

17.5.2019

Cee - Fisterra (15 km)

Ich schlafe bis 9 Uhr ganz wundervoll. Das Hotel in Cee kenne ich schon von meinem camino inglés und es ist wirklich sehr komfortabel. Nach dem ausgiebigen Frühstück mache ich mich gegen 11 Uhr auf den Weg. Heute sind es nur ca. 12,5 km bis Fisterra plus noch mal 2,5 zum Leuchtturm. Theoretisch wäre ich also in 2 Stunden da, aber wozu die Eile? Je eher ich ankomme, desto eher ist der camino zu Ende, also mache ich nach der Hälfte eine Bierpause in einem Restaurant direkt am Strand. Und wer sitzt da? Das deutsche Ehepaar von gestern, Helene und Peter aus Regensburg. Sie sagen mir, das wäre ihr zweiter camino. Der erste ging von Sarría nach Santiago, und jetzt wandern sie von Santiago nach Finisterre. Naja, nach meiner Rechnung wären das kaum mehr als 2 halbe Caminchen, aber bitte schön. Die beiden sind typisch bayrisch-grantig, aber nachdem wir uns nun zum dritten Mal begegnen, unterhalten wir uns doch ein bisschen. Nichts besonderes. Dann gehen erst die beiden und ein paar Minuten später auch ich.

 

Ich komme an einem Pilger der amerikanischen Gruppe vorbei, die ich erst im Alto da Pena und gestern auch noch mal getroffen habe. Er sitzt mit ausgepackten Fuß in der Hand am Wegrand. Ich packe meine Reiseapotheke aus und gebe ihm ein Blasenpflaster. Wie schon beim vorangegangenen camino scheint es meine Bestimmung zu sein, gestrandete Pilger medizinisch zu versorgen. Dann ziehe ich weiter.

 

Ich komme zur nächsten Strandbar, diesmal schon am Praia de Langosteira, an dessen Ende Fisterra beginnt. Ich genehmige mir noch ein Bier und genieße die Ruhe und die Sonne. Barfuß geht es die letzten 2 Kilometer direkt am Meer entlang. Das Wasser ist immer noch abartig kalt. Ein paar Meter weiter entdecke ich ein weiteres Mal die Amis, die sich nun aber als Kanadier entpuppen. Die Jungs springen ins Wasser, halten es aber nur wenige Sekunden aus und kommen zitternd wieder raus. Während meiner wanderfreien Tage in Pontevedra haben wir uns ein Auto gemietet, ich habe Bernardo und Maecita Muxía und Finisterre gezeigt und auf dem Rückweg habe ich im Meer gebadet. Es hat 20 Minuten gedauert reinzukommen und nach 10 Sekunden habe ich es vor Kälte nicht mehr ausgehalten. Heute verzichte ich.

 

Die Touristeninfo, die mir meine Finisterreana ausstellt, öffnet erst um 15:30. Also genehmige ich mir noch ein Bier. Im Anschluss checke ich in meinem Hotel ein.

 

Das Gebäude liegt oberhalb des Örtchens, auf dem Kamm zwischen Hafen und Ort im Osten und dem Strand Praia da Fora im Westen. Es ist der ideale Startpunkt für meinen Abendspaziergang. Den Hügel zwischen Fisterra und dem Leuchtturm Cabo de Finisterre ganz am Ende der Landzunge wollte ich schon längst mal erkunden. Dafür habe ich eigentlich den morgigen Tag eingeplant, aber warum nicht heute schon machen? Das Hotel hat eine kleine Karte mit verschiedenen Wegen rund um den Berg. Ich studiere sie genau und mache mich dann an der Westküste an den Aufstieg. Es ist wunderschön hier und im Gegensatz zum Weg direkt an der Hauptstraße entlang ist hier niemand unterwegs. Nur ein einheimisches Päarchen treffe ich weiter oben. Ich gehe zu den Piedras Santas, von denen man eine bombastische Aussicht hat. Danach gehe ich zurück in Richtung Leuchtturm, steige aber nicht hinab, da mich die Massen an Touristen abschrecken. Stattdessen suche ich die Route durch den Wald und komme an den Ruinen der Ermida de San Guillerme vorbei. Der Legende nach sollen Paare, bei denen sich der Kinderwunsch nicht erfüllen will, eine Nacht hier verbringen und am nächsten morgen ist sie schwanger. Haha! Ich steige wieder hinab ins Dorf, esse noch was und lege mich dann schlafen.

18.5.2019

Wandertag in Fisterra 

Da ich gestern schon meine Runde gedreht habe frage ich mich am Frühstückstisch, was ich heute so machen will. Warum nicht noch mal den gleichen Spaziergang machen? Einen Felsen, den exponiertesten, konnte ich gestern nicht erklimmen, da der Trampelpfad durch viel Stachelgestrüpp führte. Ich könnte heute die langen Hosenbeine mitnehmen und es noch mal versuchen. Gesagt, getan. Um nicht komplett das gleiche Programm zu absolvieren, biege ich anders ab und komme so innerhalb kürzester Zeit oben auf einer Höhe von 241 Metern an. Dort genieße ich die Ruhe und die Aussicht, warte auf beste Sichtverhältnisse für meine Fotos und lasse mich auch von einer Gruppe amerikanischer Touristen nicht stören. Heute ist mehr los hier oben als gestern. So sitze ich eine halbe Stunde rum, bevor ich meinen Weg in Richtung Leuchtturm fortsetze.

 

Oben auf dem Berg steht ein Camingwagen und als ich das Münchner Nummernschild entdecke, spähe ich rein, sag hallo und unterhalte mich ein bisschen mit diesem Aussteiger. Dann geht es bergab, am Leuchtturm vorbei, wo ich diesmal keine Fotos mache, sondern mir hinter den lärmenden Touristenmassen einen ruhigen Ort auf einem Felsen suche und wieder chille. Ich trinke einen Tinto de verano und mache mich wieder auf den Rückweg bergauf.

 

Ein großer, schlaksiger Mann mit Didgeridoo kommt mir entgegen. Peter aus einem Dorf zwischen Bielefeld und Paderborn, Aussteiger Nummer 2 heute. Seit 4 Jahren „wohnt“ er mit anderen in einer Holzhütte in Strandnähe und verdient sich seinen Unterhalt, in dem er Musik am Faro macht. Ob er mir ein Geschenk machen darf mit seinem Didgeridoo. Aber gern. Ich setze mich auf einen Felsen und er positioniert sich vor mir und fängt an zu spielen. Ich schließe die Augen und er bewegt sein Instrument um mich herum, sodass ich die Vibrationen spüren kann. Eine ganz neue Erfahrung, und das an einem so exponierten Ort! Ich gebe ihm 5 Euro, wir umarmen uns zum Abschied und jeder zieht weiter.

 

Der Weg, den ich nun langgehe, heißt los oídos, die Ohren, sagt mir Peter. Tatsächlich hatte ich gestern Abend schon ein Erlebnis bei dem ich meinte, Stimmen zu hören im ansonsten einsamen Wald. Wenige Minuten später kam mir allerdings ein Ehepaar mit 3 Kindern entgegen. Ich nehme an, meine Lost-gleiche Erfahrung war also ausschließlich weltlicher Natur. Heute der Weg ist völlig naturbelassen und bietet schönste Ausblicke auf die Felsenküste. Ich schlendere langsam zurück in Richtung Hotel. Anschließend mache ich noch mal einen Spaziergang am langen Strand entlang, bis vor zur Bar von gestern, wo ich wieder 2 Bier trinke. Gegen 19 Uhr - ja, der Tag verging tatsächlich wie im Fluge - suche ich mir noch ein Plätzchen zum Abendessen und gehe zurück ins Hotel. Heute Abend kommt schließlich Eurovision!

19./20.5.2019

Fisterra - Santiago - München 

Die letzten beiden Tage sind recht ereignislos: am Sonntag fahre ich nach dem Frühstück mit dem Bus zurück nach Santiago. Die Fahrt geht entgegen des Fahrplans wieder über sämtliche Dörfer und dauert somit über 3 Stunden.

 

Gegen halb 4 checke ich in meinem Hotel ein. Das Zimmer ist ein Alptraum und hat nichts mit dem zu tun, was ich auf den Fotos bei booking gesehen habe. Ich checke booking erneut und entdecke quasi nebenan ein 30 qm-Zimmer in einem 5-Sterne-Hotel für 85 Euro. Kurzerhand gehe ich zurück zur Rezeption und checke gleich wieder aus. In dieser versifften Dienstbotenkammer mit dreckigen Wänden, ohne jeglichen Bildern an der Wand dafür mit Blick auf einen kleinen Lichtschacht und in Hörweite der dauerdröhnenden Waschmaschine möchte ich die letzte Nacht meines wunderschönen Urlaubs nicht verbringen. Der Rezeptionist bekommt meinen gesamten, aber Gott sei dank typisch deutschen und daher sehr emotionslosen, stattdessen sachlichen Unmut ab. Das Angebot auf ein anderes Zimmer lehne ich rundheraus ab. Die bereits bezahlten 46 Euro sind mir egal. Ich wechsele also das Hotel und habe nun zum Abschied allen Luxus, den man sich an seinem letzten Urlaubstag gönnen kann.

 

Ich drehe eine Runde durch die Stadt, esse Pizza, trinke ein Bier auf dem Kathedralen-Vorplatz. Den Besuch der Kathedrale schenke ich mir heute ebenso wie den Besuch der Pilgermesse. Stattdessen gehe ich gegen halb 8 zurück ins Hotel und schlafe bereits eine Stunde später tief und fest.

 

Heute nun, am Montag, geht es zurück. Die nächsten Jakobswegsbücher sind bereits auf dem Weg zu mir. Mal schauen, wo die Reise dann hingeht. Wenn es nicht der Camino dos Faros wird, werde ich Santiago eine Weile nicht sehen. Aber das ist okay. Die letzten 4 Male war ich ja immer hier und habe zwei Nächte pro Camino hier verbracht. Der Eingangsbereich in unserer Wohnung ist mit 4 Compostelas, 3 Finisterreanas und einer Muxiana ohnehin schon zutapeziert. Es wird sich alles finden. Für diesmal sage ich bis bald und wie immer: buen camino!