Camino Inglés - von Ferrol über Santiago nach Finisterre (202 km)


30.9.2017

München - Santiago - Ferrol 

Es ist mal wieder soweit: ich mache mich auf den Weg, auf den Camino. Seitdem ich vor 2 Jahren den Camino francés gegangen bin, war mir klar; ich muss weitere Jakobswege laufen! Eigentlich hatte ich mir als nächstes den Camino primitivo ausgesucht, aber wie das immer so ist mit den Plänen, kommt es erstens anders und zweitens als man denkt. Dass ich heute wieder nach Santiago unterwegs bin ist denn auch ein ziemlicher Zufall. Bernardo ist für ein paar Tage nach Madrid geflogen und da hab ich mir gedacht, na für ein paar Tage bietet es sich doch an, vor der Haustür Jakobsweg zu pilgern, ab München in Richtung Alpen. Der Nachteil: Es gibt kaum Pilgerherbergen. Wer in Deutschland pilgert, muss für Übernachtungen einigermaßen tief in die Tasche greifen. Da lohnt sich ein Preisvergleich und siehe da, mit ein bisschen Glück findet man günstige Flüge nach Santiago. Verbunden mit der Ersparnis bei Verpflegung und Übernachtung amortisieren sich die zusätzlichen Flugkosten ruck zuck. Jedenfalls ist so meine schön gerechnete Kalkulation. Genügend Urlaubstage für eine spontane Woche in Galizien habe ich eigentlich auch nicht, aber mit ein bisschen Mehrarbeit werden sich schon genügend Überstunden ansammeln. Und welcher Weg bietet sich an, wenn man nur eine Woche Zeit hat? Na klar, der Camino inglés!

 

In der Früh geht´s los von München Flughafen über Zürich nach Santiago und dann mit dem Bus weiter nach Ferrol. Aus dem Bus heraus bekomme ich schon mal einen Eindruck von der Landschaft und der Strecke, für die ich genau 3 Tage eingeplant habe. Huch, das ist aber ganz schön weit, denke ich mir immer wieder. Und am Ende hoffe ich eigentlich nur noch, dass der Bus endlich ankommt, denn morgen soll ich ja schon die ganze Strecke bis nach Betanzos wieder zurück gehen. Na ob ich das schaffe?

 

In Ferrol angekommen, teste ich Laufen und Ortssinn schon mal auf dem Weg vom Busbahnhof zum Hotel. Schnelles Einchecken und danach eine kleine Runde durch Ferrol. Ganz hübsch, aber nichts besonderes. Mein Ziel: Punkt Null, dort wo der Jakobsweg beginnt. Er befindet sich direkt am Hafen. Leider ist es ein bisschen verregnet, so dass das Draußen-Sitzen nur mäßig Spaß macht. Außerdem ist mir kalt. Hoffentlich bessert sich das Wetter noch. Nach zwei Bierchen und ein paar kleinen Snacks gehe ich dann wieder ins Hotel. Heute ist Ruhe angesagt, denn morgen, am ersten Tag meiner Reise, wartet gleich die zweitlängste Strecke meines gesamten Caminos auf mich. Das wird schon werden. Hoffentlich...

1.10.2017

Ferrol - Fene - Pontedeume - Miño - Betanzos (39 km)

Um 7 Uhr aufgestanden und runter zum Frühstück. Außer mir ist noch niemand hier. War mir irgendwie auch klar, denn der Camino inglés gehört zu den wenig besuchten Jakobswegen, auch weil er relativ kurz ist. Und touristisch organisierte Touren gibt es hier glaub ich gar nicht. Die sind den letzten 100 km des Camino francés vorbehalten. Aber wer hätte das gedacht: Im Laufe der nächsten 20 Minuten kommen noch ca. 15 weitere Pilger dazu. Gestartet bin ich als Erster gegen 7:45 Uhr - bei strömendem Regen. Typisch Galizien, so viel wusste ich ja schon von meinem letzten Camino. Trotzdem ärgert es mich.

 

Da ich nur wenig Zeit mitgebracht habe und unbedingt bis nach Finisterre weiterlaufen möchte, muss ich eine nicht ganz leichte Entscheidung treffen: Ich kann nicht um die gesamte Bucht laufen, sondern muss eine Abkürzung nehmen, die mir insgesamt 2 Stunden Wegzeit erspart und es mir ermöglicht, heute noch bis nach Betanzos zu kommen. Das Wetter erleichtert mir allerdings diese Entscheidung. Nach einigen km immer am Hafen vorbei kommt mein Abzweig über die scheußliche, nicht enden wollende Brücke. Natürlich wies mich ein Einheimischer darauf hin: Der Camino geht da lang! Ich weiß, aber es hilft ja nichts. Und so spannend soll die Umrundung der Rias laut Reiseführer auch nicht sein.

 

So nach und nach ließ der Regen nach, und in Pontedeume hat dann sogar die Sonne geschienen! Unter normalen Umständen wäre hier meine erste Übernachtung gewesen. So geht es allerdings weiter durch wunderschöne Wälder und entlang unter hässlichen Autobahnbrücken bis Miño, wo mich die Einheimischen seltsam mustern, als ich mir beim Bierchen Schuhe und Socken ausziehe, und schließlich hoch und runter in Richtung Betanzos. Zwischendurch dachte ich, ich hätte mich verlaufen. Dann dachte ich, die Streckenführung wäre geändert worden. Und noch später zweifelte ich schlichtweg an meiner Kompetenz, die popeligen Karten in meinem Reiseführer zu lesen. Heute weiß ich: Die Streckenführung wurde tatsächlich geändert, und es sollte nicht das letzte während meiner Reise sein, dass ich mich auf die gelben Pfeile verließ und nicht mehr auf mein Büchlein, obwohl der Vollständigkeit hinzugefügt sei, dass auch auf die blauen Pfeile nicht in durchweg ausreichender Zahl meinen Weg begleiteten.

 

Der Camino Inglés ist ziemlich ruhig. Insgesamt habe ich bis Pontedeume nur zwei Pilger getroffen. Kurz vor Betanzos bin ich dann noch vier Italienerinnen begegnet, was den Schnitt unerwarteterweise nach oben gezogen hat (diese vier Signoras sollten sich übrigens noch als meine Konstante herausstellen). Aber ansonsten war es auf den ersten 20 Kilometern absolut ruhig. Camino de soledad.

 

Und was ist sonst so passiert? In Pontedeume hab ich mich kurz mit einem Einheimischen unterhalten, der mich gefragt hat, ob ich mit einem Spanier verheiratet bin, weil mein Spanisch so gut ist :-)

Zwischen Miño und Betanzos hat mich ein kleiner Hund angefallen. Nur gut, dass ich meine Teleskopstöcke zur Verteidigung dabei habe!

Es gibt eine Menge Hunde, noch mehr Katzen und kaum Pilger. Die Italienerinnen meinten, ihnen seien heute  immerhin 20 Pilger über den Weg gelaufen. Keine Ahnung, wo die sich vor mir alle versteckt haben.

 

Die Italienerinnen haben sich übrigens auch bei Begoña einquartiert! Begoña ist Besitzerin einer Chocolatería, die nebenher auch Zimmer vermietet. Sie wurde in meinem Reiseführer empfohlen, also habe ich mich explizit auf die Suche nach ihr gemacht. Gefunden habe ich sie eigentlich nicht, denn sie hat mich zuerst entdeckt bzw. an meinem gelben Büchlein erkannt, dass ich wie einen Kompass vor mir hergetragen haben. Begoña weiß um ihren Eintrag ebenda und es kommt regelmäßig vor, dass unfindige Pilger wie ich mit Outdoor-Führer in der Hand nur ein Ziel in dieser Nebenstraße haben: Ein Bettchen in der Casa Begoña.

 

Am Abend bin ich noch eine kleine Runde durch den Ort gelaufen und habe mich in einem kleinen Lokal am Flüsschen niedergelassen, um Puplo zu essen und ein Bier zu trinken. Meine Beine sind heute wirklich müde, also gehe ich beizeiten zurück zu Begoña und haue mich auf´s Ohr.

2.10.2017

Betanzos - Bruma - Vilariño (37 km)

Heute waren es dann doch ein paar Pilger mehr, die ich getroffen habe. Allein beim Frühstück waren es schon 5: die vier Italienerinnen und Tatjana aus St. Petersburg, die mich gestern Abend wach gehalten hat mit ihrem Gesabbel. Genau als ich Einschlafen wollte, hat sie sich nämlich mit den beiden Amerikanerinnen (wie ich mir durch den Akzent zusammen reimen konnte) in der Küche Tee gekocht und geschnattert und geschnattert. Noch schlimmer waren allerdings die Amis mit ihrem lauten Gelache. Und das um 22:30 Uhr! Alles was recht ist...!
Heute morgen jedenfalls waren die 5 auch in Begoñas Caféchen zum Frühstück, und da sie sich zur Verabschiedung umarmt haben, kannten sie sich wohl. Alle fünf sind kurz vor mit gegangen. Mir war schon aufgefallen, dass die Italienerinnen keine Rucksäcke mehr dabei hatten. Auf meine Nachfrage meinten sie, nee, den lassen wir transportieren. Cheaters! Als ich dann rausging habe ich grad noch gesehen, wie die 4 in ein Taxi eingestiegen sind. Doppel-Cheaters!!

 

Ich bin also los, erst die Straße nach unten, über eine kleine Brücke und auf der anderen Seite wieder hinauf. Weit hinauf. Und an Tatjana vorbei, die original die ganze Zeit auf ihr iPad gestarrt hat, um sich den Weg zeigen zu lassen. Wofür gibt es denn gelbe Pfeile? Zumal es nicht mal eine Wegalternative gab, es ging einfach nur immer gerade aus.

Nach 12 km Halt gemacht an einer Bar, die mein Reiseführer nicht mal aufgelistet hat. Grober Fehler, denn diese Bar ist wie ein Museum eingerichtet. Skulpturen stehen überall und man sieht die Wand vor lauter Gemälden nicht. Außerdem gab es dort 3 Katzen, davon 2 ganz kleine, die die ganze Zeit gespielt haben, und eine größere, die sich zu meiner Linken niedergelassen und mich die ganze Zeit um Essen angebettelt hat. Hab ihr natürlich was gegeben :-)

 

Die im Reiseführer erwähnte Casa Julia habe ich übrigens nirgends entdeckt, dabei wurde die doch als so wichtige Zwischenstation angepriesen! Stattdessen ging es nun bergauf, immer wieder und immer weiter. Oben angekommen habe ich nach weiteren ca. 10 km ein dringend benötigtes Bierpäuschen eingelegt und dort zwei Deutsche kennengelernt, die echt nett und noch echt jung waren. Tanja und Florian glaub ich. Die beiden haben mir erzählt, dass sie nach ihrer Ankunft in Santiago noch nach Finisterre fahren wollen. Ich glaube, ich seh die nochmal...

 

In Bruma hab ich dann die vier Italienerinnen noch mal getroffen. Unglaublich, dass die die Hälfte der Strecke mit dem Taxi gefahren sind. Wir haben uns alle gedrückt, sind ja nun schon sowas wie Camino-Pals. Die eine hat übrigens auch ganz mächtig über Tatjana abgelästert, weil die wahnsinnig viel quasselt.

Übernachtet habe ich in einem wunderschönen Landhaus. Dort waren außer mir nur noch ein französisches Ehepaar, die keine andere Sprache kannten außer Französisch. Hab auf Englisch und Spanisch versucht, mit ihnen zu kommunizieren, war aber nichts zu machen.

3.10.2017

Vilariño - Següeiro - Santiago (32 km)

Der Weg nach Santiago war anstrengend, aber auch schöner als erwartet. Und: ich habe mich das erste Mal überhaupt verlaufen! Eine Weggabelung nach links, eine nach rechts. Welche nehmen? Wollte schon die linke nehmen, habe mich dann aber doch für die rechte entschieden und das war falsch. Als endlich die ersten Häuser in Sichtweite kamen, habe ich eiligen Schrittes zwei vor mir herwalkende Frauen eingeholt und sie nach dem richtige Weg gefragt. Ein dritter Einheimischer kannte ihn schlussendlich und hat mich zurück zur Gabelung begleitet und dabei geröschelt dass ich dachte, jetzt ist alles zu spät. An der Gabelung habe ich dann mit Stöckchen und Steinen meinen ersten eigenen Pfeil gebaut, um nachfolgenden Pilgern (z.B. den Italienerinnen) diesen Umweg zu ersparen, der mich mindestens eine halbe Stunde gekostet hat.
Generell ist der Camino inglés bei Weitem nicht so gut gekennzeichnet wie der francés, wo an jedem Mülleimer und jeder Laterne ein Pfeil prangt. Hier sind die gelben Pfeile teilweise doch eher spärlich. Gehen sie aus, folgt man blauen Punkten (vermutlich für die Bauern damit sie wissen, wo sie das Vieh entlang treiben müssen). Gehen auch diese aus, folgt man der Sonne, geht in die Richtung von der man meint, dort könnte Santiago liegen. Oder steht da und weiß nicht weiter. Ich beginne Tatjanas iPad-Sicherheitsbedürfnis zu verstehen...

 

Auf dem weiteren Weg nach Següeiro bin ich von zwei Pilgern überholt worden. Guido sollte ich später und auch in Finisterre noch einmal kurz begegnen. Der Weg nach Següeiro war okay, aber ohne besondere Vorkommnisse. Aufgrund meines Verlaufens war ich nun vorsichtig und fragte mehrfach die Einheimischen, ob ich noch richtig sei, was ich Gott sei Dank immer war. Nach endlosen Kilometern schnurstracks gerade durch den Wald erschien Següeiro in der Ferne. Keine sonderlich hübsche Stadt und ich bin froh, dort nicht übernachtet zu haben. Mein Eindruck von der Busfahrt, die daran vorbeiführte, bestätigte sich. Aber für einen Kaffee oder ein kleines Mahl erfüllt es seinen Zweck.

Danach führte der Weg - wieder mal anders als im Reiseführer beschrieben - durch süße kleine Dörfer und die meiste Zeit über Felder und Wiesen. Auf dem Weg habe ich meine gute Tat des Tages vollbracht und einer alten Frau aus dem Graben heraus geholfen. Das war was... Als ich ihr meine helfende Hand gereicht habe, sah ich, dass die ihre ganz verdreckt war mit gelben Schleim an den Fingern. Sehr eklig. Aber ich konnte es mir ja schlecht noch mal anders überlegen. Also bin ich nach getaner Arbeit ca. 50 Meter weiter gegangen und habe mir meine Hände mit meinem kostbaren Trinkwasser ordentlich sauber gemacht.

 

Weiter ging´s, ganz kurz mit Guido. Die Aktion mit der alten Frau hat mich hungrig gemacht, und so haben wir uns von einem Baum einen Apfel gepflückt und sogleich kam die Haus- und Gartenbewohnerin und somit Eigentümerin des Apfels heraus. Aber nicht, um uns zu schimpfen, sondern um uns zu bitten, noch mehr Äpfel mitzunehmen, da sie ja eh nur schlecht werden, wenn sie keiner isst. Mit dem Verweis, noch etwas für die nachkommenden Pilger übrig lassen zu wollen, haben wir dankend abgelehnt. Auch deshalb, weil wir am Ende ja alles schleppen müssen.

 

Irgendwann war ich dann endlich und mit ca. 3 Stunden Verspätung zu meiner geplanten Ankunft in Santiago. Nach dem obligatorischen Bild vor der Kathedrale (inklusive Foto mit Füße in der Luft, auf dem Boden liegend) bin ich dann wieder dahin, wo ich letztes Jahr meine Compostela bekommen hatte. Dort war aber nichts mehr. Der ganze Trott ist ganz woanders hingezogen. Dann also dorthin. Nachdem ich meine neue Credencial für Finisterre geholt hatte - denn nach dem Camino ist vor dem Camino - habe ich mich in die lange Schlange für die Compostela eingereiht. Und da stand ich nun und stand, und kam mit einem reizenden Ehepaar aus Madrid ins Gespräch (bzw. mit dem Mann, 61 Jahre alt). 

- Madrid kenne ich!

- Was denn, die Plaza Mayor?

- Nein, viel mehr als das. Auch Chueca. Und sogar Tres Cantos!

So ging es dann eine Weile und irgendwann hat er mich gefragt, wieso ich denn so gut spanisch spreche.

- Ah, meine Tochter ist auch lesbisch.

Und irgendwann später:

- Und wo wohnt deine Schwiegermutter?

- In Tres Cantos.

- HAHAHA, jetzt ergibt alles einen Sinn.

 

Ich glaube, diese Begegnung war die bis dahin intensivste meiner Reise. Und da wir zwei Stunden lang in einer sich kaum bewegenden Schlange standen, war diese Etappe auch die anstrengendste. Am Ende sind wir zu dritt noch ein Bier trinken gegangen und daraufhin haben sich unsere Wege nach der unter Pilgern üblichen Abschieds-Umarmung wieder getrennt.  Wer weiß, vielleicht treffe ich José und Mercedes eines Tages in Madrid ja wieder.

 

Im Hotel angekommen habe ich festgestellt, dass meine Kilometer-Compostela statt Oktober mit September ausgefüllt wurde. So ´ne Scheiße. Mal sehen, wenn die Schlange morgen früh nicht so lang ist, reklamiere ich. Wenn nicht, auch egal. Hätte der Typ sich mal besser auf seine Arbeit konzentriert anstatt meine Credencial auf Plausibilität zu durchforsten:

- Du hast den Weg in zwei Tagen gemacht?

- Nein, in drei.

- Du hast den Weg in drei Tagen gemacht?

- Ja. Am 1.10. habe ich begonnen und heute ist der 3.10.

- Wieviel Kilometer bist du denn jeden Tag gegangen?

- Nicht mehr als 40.

Dann endlich hat er mir die Compostela ausgestellt. Als sähe ich aus wie ein Cheater. Ich bin doch kein Italiener...

 


4.10.2017

Santiago - Negeira - Vilaserio (37 km)

Gegen 9 Uhr bin ich entspannt und wohlgefrühstückt zum zweiten Teil meines Caminos gestartet. An einer Bar saß ein Jüngling, der mich wissen ließ, dass die Schlange im Compostela-Büro schon wieder endlos sei. Dann verzichte ich eben auf die Korrektur meiner Compostela und gehe direkt weiter. Aus der Stadt raus durch hübsche Wälder und hinauf zum wohl besten Blick auf die Kathedrale. Hier auf dem Weg sind schon wieder mehr Pilger unterwegs, wenn auch weit weniger als damals auf dem camino francés. Und so steigen auch die Chancen auf skurile Begegnungen. Wie der mit meiner verrückten Stalker-Frau.

 

Als ich kurz um die Ecke gebogen bin, um ein ruhiges Plätzchen zum Pipi-Machen zu suchen, sehe ich, wie sie, die vor mir Hintrabende, plötzlich stehen bleibt und sucht, als hätte sie einen gelben Pfeil übersehen. Und mir dann nachkommt. Nicht mal in Ruhe auf´s Töpfchen gehen kann man, ohne dass einem orientierungslose Pilger lemminghaft hinterherlatschen. Habe die Tante nun flotten Schrittes überholt und Gas gegeben. Doch sie folgte mir ab jetzt wie ein Schatten. Die erste Bar tauchte auf. Wenn ich mich hier niederließ, würde sie sich bestimmt zu mir an den Tisch setzen und darauf hatte ich ja nun gar keine Lust. Stattdessen schätzte ich die Lage so ein, dass sie bestimmt eine Pause einlegen müsse und daher ihrerseits die Gunst der Stunde nutzen würde. Dumme Fehleinschätzung. Also weiter, nur nicht nachlassen im Tempo. Zwischendurch mal eben die Straßenseite wechseln, um ein hübsches Bild von der Kirche zu machen - Tante, ca. 30 Meter hinter mir, wechselt auch die Straßenseite, obwohl dazu überhaupt kein Grund bestand. Außer natürlich, sie will auch ein Foto machen, was sie aber nicht tut.

Also weiter. Wieder kommt eine Bar, und die sieht wirklich sehr einladend aus, und Hunger hätte ich auch ein bisschen. Aber wenn ich crazy lady abhängen will, kann ich mir keine Schwachheiten erlauben. Also auch an dieser Bar vorbei. Aber der Plan geht erneut nicht auf, mein Schatten verfolgt mich weiter auf Schritt und Tritt und so langsam wird mir die Sache etwas mulmig. Nicht dass ich mich gegen so ein Persönchen nicht zur Wehr setzen könnte, aber was will die von mir? Wieso klebt sie ausgerechnet an mir?

Nun geht es bergauf, steil bergauf. Ich blicke mich zwischendurch verstohlen um und sehe, dass sich der Abstand langsam aber sicher vergrößert. YES! Und nach 15 Minuten des Strammen Anstiegs - der Schweiß läuft mir mittlerweile in Strömen runter - habe ich die blonde Frau tatsächlich abgehängt. HURRA! Nur weiter, ohne Rast und Ruh. Oben angekommen habe ich nun aber wirklich Hunger. Also mache ich an der nächsten Bar Halt, gönne mir ein riesiges Bocadillo und lasse mich auf dem einzigen noch freien Platz im Schatten nieder. Keine zehn Minuten später sehe ich die Tante kommen. Und natürlich steuert sie auch meine Bar an. Da sie nun aber ihre Siesta in brütender Mittagssonne machen müsste (es ist jetzt 12:45 Uhr), zieht sie es letztendlich doch vor, eine andere Bar aufzusuchen. Gott sei Dank! Negeira ist auch nicht mehr sooo weit entfernt. Vermutlich nächtigt sie dort und wir sehen uns nie wieder.

In Negeira gönne ich mir nochmal ein Päuschen, denn auf mich warten noch 14 Kilometer, bis ich Vilaserio erreiche. Auf dem neuen, alternativen Weg entlang eines wunderschönen, idyllischen Flüsschens begegne ich einem Franzosen, der wenig Englisch und gar kein Spanisch spricht. Er fragt mich mehrmals, ob ich auch nach Vilaserio wandere. Das klingt dann ungefähr so: "Vilaseriöööööö?" Mehr klappt nicht, und sein starker französischer Akzent macht die Kommunikation auch nicht leichter, so dass ich froh bin, als er schneller als ich den Berg hochstrampelt. Ich treffe ihn später noch mal und wieder sagt er nur: "Vilaseriöööööö?" Danach sehe ich ihn nicht wieder, obwohl er auch am nächsten Tag nach Cee laufen wollte.

Der Weg ist nun ziemlich anstrengend, geht auf und ab, meistens in der Sonne. Heute hat es über 30 Grad und es ist kein Wölkchen am Himmel. Eigentlich genau meine Betriebstemparatur, aber trotzdem auch recht anstrengend. Ich blicke noch mal zurück und sehe das Gebirge von O Cebreiro in der Ferne. Krass! Ich kann es kaum fassen, wie weit ich gucken kann. Aber das muss es sein, denn ein anderes Gebirge gibt es dort nicht. Zwischen O Cebreiro und mir liegen ca. 180 Pilgerkilometer. Wie weit wird das Luftlinie sein? Darüber hinaus fühlt es sich aber gerade an, als hätte sich ein Wurmloch geöffnet, das meinen jetzigen Jakobsweg und meinen Camino francés von 2015 miteinander verbindet.  Ich bin geflasht. Bevor mich der Weg wieder bergab führt, drehe ich mich nochmal um, halte kurz inne und genieße den Moment, bevor ich den nächsten Schritt setze und sich das Wurmloch wieder schließt.

Gegen 18:30 Uhr komme ich endlich in Vilaseriö an. Der kleine Ort hat eigentlich nichts zu bieten außer einer öffentlichen und zwei privaten Herbergen. Ich entscheide mich für die private Herberge, die laut Werbeplakat über eine Waschmaschine und einen Trockner verfügt. Beides ist natürlich belegt und auf meine Frage, wo ich denn sonst noch waschen könne, bekomme ich von meinem gutaussehenden aber mürrisch dreinblickenden Herbergsvater nur ein unmotiviertes Schulterzucken. Dann nehme ich das Zeug halt wieder mit unter die Dusche, das hat sie letzten Tage ja auch gut funktioniert.

Die Dusche, eine für Männer, eine für Frauen, ist einigermaßen versifft, aber es wird schon gehen. Nach der Dusche gehe ich raus, weil ich mich noch ein bisschen in die Sonne setzen will. Dort lerne ich Tim aus der Schweiz kennen. Seit sechs Monaten pilgert er mit seinem Hund. Zuerst dachte ich, der Hund gehörte zur Herberge, weil er sich so gut mit den drei Katzen der Herberge versteht und war immer verwundert, wenn Tim dem Hund Befehle erteilte. Nun ist es mir klar.

Mit Tim habe ich seit langem wieder mal einen Joint geraucht. Besonders lustig hat es mich allerdings nicht gemacht, eher still und ruhig. Tim hat schon ganz glasige Augen (vom vielen Kiffen?). Wirkliche Diskussionen sind im Zustand der Bewusstseinsentrückung irgendwie auch nicht möglich. Es ist immer so auf dem Niveau von: "Die Sonne ist einfach da und wir können uns an ihr erfreuen." Hm. Manche mögen darin eine universelle Wahrheit sehen, die sie vorher nicht erkennen konnten. Ich persönlich empfinde solche Gespräche als ziemlich sinnfrei.

Was ich denn beruflich mache. Ob das der Zweck meines Daseins ist. Vielleicht ist er das!

Am nächsten Morgen werde ich mir denken: Wie arrogant von einem Hippie, der grad nichts anderes zu tun hat, als rumzuwandern und genau genommen weder einen nennenswerten Beitrag zur Gesellschaft noch zur Volkswirtschaft leistet mich zu fragen, ob mein Job, der mir diese Reise überhaupt erst ermöglicht, der Sinn meines Daseins ist.

Es bleibt die Erkenntnis, in Menschen nicht reinschauen zu können. Tim ist ein netter Kerl, es war schön ihn kennengelernt zu haben, und ich wünsche ihm auf seinem Weg alles Gute.

Pünktlich zum Sonnenuntergang hat sich noch ein Flötenmann in Positur gebracht, um der Sonne ein Ständchen dazubringen. Das war nett. Hab dann mein Essen bestellt und wer läuft in dem Moment an mir vorbei, um in meiner Herberge einzuchecken? Die verrückte blonde Frau. Man trifft sich auf dem Camino einfach immer wieder, ob man will oder nicht. Da zu meiner Ankunft noch drei Betten frei waren, konnte ich mir ausrechnen, dass die verrückte Frau nun entweder neben mir oder über mir schlafen würde. Beides erschien mir gleichermaßen unattraktiv. Am Ende schlief sie neben mir. Bevor sie sich jedoch in das Land der Träume verabschiedet, wünscht sie allen Anwesenden noch "good night everybody". Zwar eigentlich ganz nett, allerdings auch völlig untypisch. Etwa drei halbherzige "good nights" waren die Antwort. Ich sehe mich bestätigt: sie ist verrückt, aber irgendwie auch nicht verkehrt.

 

Die Nacht war ein Graus. Ich habe so geschwitzt, dass ich es in meinem Schlafsack einfach nicht mehr ausgehalten habe. Wenn man es gewohnt ist nackt zu schlafen, muss man in Herbergen sowieso Kompromisse machen. In dieser Nacht hatte ich allerdings noch einen weiteren Konflikt auszutragen: Entweder schwitzen oder von Mosquitos gefressen werden. Zu Hause knipse ich in solchen Situationen das Licht an und erledige die nervigen Biester. Mit 12 anderen Pilgern im selben Zimmer ist das natürlich schwieriger. Ich entschied mich letztlich gegen den Schlafsack und für die Mosquitos. Und obwohl ich um neun ins Bett gegangen bin und um acht wach geworden bin (Gott, so spät schon!), fühlte ich mich hundemüde.

 

5.10.2017

Vilaserio - Santa Mariña - Olveiroa - O Logoso - Cée (42 km)

Was für ein trüber, vernieselter Vormittag. Der mürrische Herbergsvater brachte mir mein Frühstück - wie üblich Café con leche, zumo de naranja natural und tostada - und nahm dafür unverschämte 5,90 Euro! Draußen saß ein junges deutsches Paar, dass mich ebenso mürrisch musterte. Sie erinnerte mich an Viktoria (andere Geschichte, keine schöne), er sah so aus, als wollte er mich gleich schlagen. Und sie hatten ein Kind auf dem bzw. im Rucksack, dass Papa tragen musste. Während ich noch gemütlich frühstückte, machten sie sich auf den Weg. Ich habe sie kurze Zeit später wieder getroffen, weil sie am Wegrand standen, den Rucksack komplett entleert (sogar das Kind). Sie telefonierte, weil sie irgendetwas vergessen hatten und nicht mehr wussten wo genau. Ich habe sie nicht gefragt, was sie vergessen hatten, sondern ihnen nur Glück gewünscht und mir gar nicht Pilger-like gedacht: Das geschieht euch recht.

 

Es ging voran durch kleine, unattraktive Dörfer (Santa Mariña) mit mürrischen Einwohnern, die zum Teil nicht mal zurück grüßten. Lag es am Klima, oder warum waren die Leute hier so anders? Vorher waren alle viel netter und haben mir teilweise überschwänglich einen guten Weg gewünscht.

Nun kam eine größere Umleitung. Das fehlte mir ja grad noch, wo doch heute die längste Etappe meines Caminos bevorstand! Die 38 km gestern haben mir ja schon zugesetzt. Es stellte sich allerdings schnell heraus, dass diese Route recht hübsch, wenn auch streckenweise ziemlich steil war. Auf dem Weg nach oben traf ich ein spanisches Päarchen, mit dem ich einen kurzen Plausch hielt über die Vorzüge, in der Sonne zu wandern anstatt unter einer Wolkendecke. Sie wünschten mir viel Glück, dass die Sonne heute noch rauskomme. Was sie alsbald auch tat.

 

Nach 20 Kilometern pausenloser Wanderung kam ich endlich in Ponte de Olveira an. Ich hatte Mords Kohldampf! Entgegen meiner Gewohnheit, auf das Menu del día zurückzugreifen, gönnte ich mir hier eine große Portion Spaghetti bolognese und ließ es mir gutgehen. Die Hälfte der Strecke müsste ich ja schon fast haben. Das Bedienfräulein war ausgesprochen charmant. Keine Schönheit, wahrlich nicht, aber ein sonniges Gemüt und aufmerksam, wie ich es bisher nur selten erlebt habe. Der Nachbarort Olveiroa war hübsch! Beim nächsten Mal schlafe ich dort! 

 

Von nun an führte der Weg durch wunderschöne Landschaften weiter Richtung Logoso. An großen Windrädern vorbei, immer höher auf grüne Hügel, unten sah man aufgestaute Flüsschen, und es war einfach eine Freude, hier entlang laufen zu können. In Logoso habe ich mich nochmal eingedeckt mit einem großen Sandwich (man weiß ja nie) und bin dann direkt weiter. Bis nach Cée sind es laut Büchlein noch 17 km. Nach kurzer Zeit kam ich an einer Camino-Information vorbei. Was hat die denn hier zu suchen? Der Bau war recht imposant, drinnen war allerdings niemand und die Türen waren auch verschlossen. Wozu baut man so einen Klotz an so eine exponierte Stelle und hat dann nicht mal zur Hauptpilgerzeit geöffnet? 

Also weiter, an einer hässlichen Hochofenfabrik vorbei und dann kam ich zur berühmten Stelle, an der zwei Pilgersteine in unterschiedliche Richtungen zeigen. Hier gabelt sich der Weg: Links geht es nach Finisterre, rechts nach Muxía. Eigentlich wollte ich ja nach Finisterre, aber vielleicht sollte ich doch lieber nach Muxía? Nein, ich bleibe bei meinem Plan und biege links ab. 

 

Trotz der langen Etappe bin ich fast komplett allein unterwegs. Beide auf dem Weg befindlichen Kapellen sind verschlossen (wieso?). An der ersten werde ich von einer getrieben wirkenden Frau überholt. An der zweiten überhole ich ein spanisches Damen-Trio. Eine Dame steckt sich eine Zigarette an, was von den anderen beiden abfällig kommentiert wird. Die übergewichtige Raucherin muss sich rechtfertigen, was mir einerseits leid tut und ich überlege sogar, meine Vorsätze über Bord zu werfen und sie anzuschnorren, andererseits habe ich aber Verständnis, denn die beiden anderen wirken deutlich fitter als Smokie, was sie auch ohne ihr Laster zum schwächsten Glied der kleinen Kette macht. Ich beschließe, mich einfach abzusetzen und marschiere voran. Bis nach Cée sind es nun maximal noch anderthalb Stunden. Plötzlich sehe ich das Meer. Was für eine Aussicht. Nun ist das Ziel nicht mehr weit. Auf Herberge habe ich heute keine Lust mehr, also werfe ich unterwegs booking an und buche mein 3-Sterne Hotel in Cée. Aufgrund meiner späten Buchung komme ich noch vor Eingang meiner Reservierung im Hotel an. Ich erhalte ein geräumiges Doppelzimmer mit Badewanne. Dieses Hotel verlasse ich heute nicht mehr, nicht mal zum Abendessen, obwohl es mir heute wirklich gut ging, besser als gestern. Gestern war ich nach 37 km froh, endlich anzukommen. Heute hätte ich nach 42 km locker noch 5 dranhängen können. Ich freue mich auf eine ruhige Nacht in einem großen Bett und schlafe friedlich die ganze Nacht durch, ganz ohne Ohrstöpsel.

6.10.2017

Cée - Corcubión - Finisterre - Kap de Finisterre (15,5 km)

Heute steht die letzte (schnief) und mit gerade mal 15 km auch kürzeste Etappe bevor. Deshalb habe ich gar keinen Stress sondern lasse es ruhig angehen. Gegen 9 Uhr starte ich und laufe auch gleich zu Beginn des Tages Samira über den Weg, mit der ich den Rest der Etappe und auch des Tages gemeinsam verbringen werde. Nach 2 gelaufenen Kilometern ist es an der Zeit, erstmal gemütlich zu frühstücken. Heute haben wir ja genügend Zeit. Außerdem: je eher wir ankommen, desto eher ist auch die Reise vorbei. Nach Kaffee und Tostada geht´s dann wirklich los, im Wechsel über Waldwege und an der Straße entlang, vorbei an Corcubión, weiter nach Finisterre. An einer einsamen Bucht legen wir eine Pause ein und waschen und nach guter alter Pilgertradition Hände und Füße. Warum außer uns nur ein einziger Pilger diesen "Umweg" von ca. einer Minute auf sich nimmt, ist mir ein Rätsel. Da Samira (29 aus Karlsruhe) ja nun Fotos von mir machen kann, sind auf diesem Weg die meisten Bilder von mir entstanden. Allerdings musste ich ihr genaue Anweisungen geben wie einem Mann, sonst wäre das nix geworden - Beine ab, dafür der gesamte Himmel drauf. Weiter gehen wir dann am langen Strand von Finisterre entlang, wo ich direkt Flo und Tanja (?) aus Bruma in die Arme gelaufen bin. Wie ich es prophezeit hatte, würden wir uns in Finisterre wieder treffen. 

 

Der Strand war wirklich ziemlich lang, mit Muscheln bedeckt (ich habe sogar eine Jakobsmuschel gefunden!) und am Ende des Strandes konnte ich Samira mit einiger Überzeugungskunst dafür begeistern, eine kleine Bierpause einzulegen. Und wen entdecke ich da am Strand: meine vier Italienerinnen, die ich ebenfalls in Bruma zuletzt gesehen hatte. Es gab ein großes Hallo, Fotos wurden gemacht, und dann ist wieder jeder seines Weges, ich also zurück zu Samira und meinem Bier, gegangen.

 

Nun war es an der Zeit, die Finisterreana abzuholen. Die Schlange war deutlich kürzer als die in Santiago, aber dennoch vorhanden. Die beiden Herbergsleute, die uns die Urkunde ausstellten, waren super nett und lustig. Er zu mir auf deutsch;

- Schnell, schnell!

Ich: No, mejor despacito pero bonito. (Nein, lieber langsam, dafür hübsch - in Anlehnung an Luis Fonsi, verstehst du?)

- Jajaja, que mono! (Wie nett!)

Nur der Italiener hinter uns hat rumgestresst, als müsse er zum Bus und wäre nicht gerade erst den Jakobsweg gelaufen.

 

Unsere Urkunden im Gepäck machten wir uns nun auf den Weg ans Ende der Welt, also zum Leuchtturm, natürlich mit Rucksack. Obwohl mein Hostal nur wenige Meter entfernt lag, durfte der Rucksack mit nach oben, denn er hat mich ja auch während des gesamten Weges begleitet. Diese Etappe war die anstrengendste des Tages. An der Straße entlang ging es bei glühender Nachmittagssonne 3 km stetig bergauf. Hurra, ich durfte also doch noch richtig schwitzen heute, bevor die Reise vorbei ist. Oben angekommen war alles voller Turis, die zum Teil mit Bussen angekarrt wurden. So viel zu sehen gab es dort allerdings nicht. Leuchtturm halt und Meer drumherum, und den Null-Kilometer-Stein. Wir haben oben noch ein überteuertes Bier getrunken und uns dann auf den Rückweg gemacht, um unsere Unterkünfte zu suchen.

 

Um 18:45 Uhr haben wir uns dann wieder getroffen, gemeinsam mit Augusta aus Litauen (glaub ich) und Kathryn aus England (36, Schauspielerin mit Sinnkrise und eine witzige, coole Person), um uns vom Leuchtturm aus den Sonnenuntergang anzuschauen. Vorher wollten wir aber noch Sachen verbrennen, denn so ist das (nicht besonders umweltfreundliche und daher mittlerweile soweit ich weiß auch verbotene) Ritual.

- Im Meer reinigen

- Sachen verbrennen

- Sonnenuntergang gucken

Und am nächsten Tag wird man dann neu geboren. Zwei Tage später habe ich davon übrigens noch nichts bemerkt, könnte allerdings auch daran liegen, dass ich 1. nicht komplett im Meer gebadet habe sondern nur Hände und Füße gewaschen oder 2. meine Socken nicht brennen wollten. Ich hatte sie vorher gewaschen, vielleicht lag es daran. Hab sie, auch der Umwelt zuliebe, nach erfolgloser Verbrennung wieder eingepackt, wäre ja schade darum. In meinem Facebook-Post habe ich dieses Detail unerwähnt gelassen.

Als die Sonne weg war, gab es Applaus von allen Seiten. Was soll man auch sonst machen, um diese einzigartige Vorstellung irgendwie zu würdigen? Ein gemeinsames Camino-Lied wäre mal was, so in der Art vom Flötenmann, der bestimmt auch jeden Tag das gleiche Lied anstimmt. Und irgendwer hat auch immer eine Klampfe dabei. Aber so haben wir halt geklatscht und sind noch ein Weilchen sitzen geblieben beim zweiten Tinto de verano. Als auch der leer war, haben wir uns gemeinsam auf den Abstieg gemacht. Bei völliger Dunkelheit, und weil wir Hunger hatten, sind wir noch in eine Pizzeria gegangen. Ich hatte heute ja auch fast noch nichts gegessen. Am  Nachbartisch saßen einige Spanier(innen). Besonders zwei Frauen haben sich die meiste Zeit lautstark gestritten. Wer spanische Frauen schon mal hat streiten hören, der weiß, was ich mit lautstark meine. Es war uns schier unmöglich, eine vernünftige Konversation zu führen. Gegen halb 12 haben wir uns verabschiedet und sind alle in unsere Bettchen gegangen.

7.10.2017

Finisterre - Santiago (mit dem Bus)

Nach dem Fühstück, bei dem ich zufällig noch mal Samira begegnet bin, bin ich um 11:45 Uhr mit dem Bus zurück nach Santiago gefahren. Meine Reise war nun so gut wie vorbei. Drei Stunden später angekommen hab ich im Hotel erst mal ein Nickerchen gemacht, bevor ich mich für den Pilgergottesdienst um 19:30 Uhr wieder frisch gemacht habe. Und wen habe ich bei meinem Eintreten in die Kathedrale wieder getroffen? Na klar, meine vier Italienerinnen! Fehlt nur noch, dass wir uns morgen am Flughafen wieder treffen. Nach einem Abgleich unserer Abflugzeiten konnten wir das allerdings fast ausschließen.

Der Gottesdienst war insgesamt ein bisschen langweilig und enttäuschend, weil die süße alte Nonne, die vor 2 Jahren immer die Lieder mit den Schäfchen geprobt hatte, diesmal nicht vorab in Erscheinung getreten ist und der Botafumeiro wurde auch nicht geschwenkt. Immerhin habe ich mir meine Oblate geholt beim Abendmahl (wie heißt das auf Katholisch?) von einem deutschen Bruder, und bin danach noch lecker Pilgermenü essen gegangen, wo ich den besten Merluza meines Lebens gegessen habe. Dann war der Tag auch schon wieder vorbei und ich bin zurück ins Hotel.

8.10.2017

Santiago - München (mit dem Flugzeug)

Und nun sitze ich im Flieger. Während der letzten 3 Stunden habe ich mein Tagebuch nachgeschrieben, damit ich mich später noch an alles erinnern kann. Die beiden unhöflichen Polen neben mir sind Lektüre-Konsumenten, ich bin Produzent, ha! Es war wieder ein tolles Erlebnis, ganz anders als zwei Jahre zuvor, viel einsamer und kaum intensivere Begegnungen, aber trotzdem toll! Und ich habe abgenommen. Wieviel, sagt mir später die Waage.

 

Mir fallen noch ein paar Sachen ein, die ich gern festhalten möchte:

1. Ich sehe den Weg durchaus als sportliche Herausforderung. 20 km pro Tag gehen und den ganzen Nachmittag chillen ist mir echt zu wenig. Da laufe ich lieber weiter und bin stolz auf meine Leistung.

2. Ich bin eine Luxus-Pilgerbitch. Herbergen sind mir ein Graus und haben allenfalls den Vorteil, neue Leute kennenzulernen. Sich darüber zu beklagen, dass in Herbergsküchen kein Geschirr ist, man deshalb ja gar nicht kochen kann und am Ende doch in ein Restaurant gehen muss (O-Ton Samira), kommt mir nicht in den Sinn. Ich wandere doch nicht den ganzen Tag, um dann auch noch selber kochen zu müssen! Ich genieße meinen Salat und mein Hühnchen für 10 Euro.

3. Von deutscher Politik und den Koalitionsverhandlungen habe ich nichts mitbekommen. Stattdessen habe ich die Ansprache des spanischen Königs an das spanische bzw. katalanische Volk live gesehen. Der König braucht Nachhilfe in Rhetorik.

4. Ich muss dringend meine Nägel machen. Habe sie die ganze Woche vernachlässigt.

5. Und ich habe nur eine einzige Zigarette geraucht (in Finisterre) und danach war mir stundenlang eklig.

 

Nun bleiben mir nur noch wenige Zeilen der letzten Seite meines Tagebuches, deswegen mache ich nun Schluss. Der nächste Jakobsweg kommt bestimmt. Einmal Pilger, immer Pilger. Ich wünsche mir und allen anderen: Ultreia und buen camino!