Camino francés - von St. Jean Pied de Port nach Santiago (764 km)

1./2.8.2015

München - Stuttgart - Paris - St. Jean Pied de Port

Heute geht es los.

Nachdem ich im letzten Jahr auf den Kilimanscharo geklettert bin, wurde ich immer wieder gefragt: Was kommt als nächstes? Ich wusste es nicht genau, und es war mir eigentlich auch egal. Ein Marathon vielleicht? Nun ist es aber doch kein Marathon geworden, sondern die Entscheidung, den Jakobsweg zu laufen. Vielleicht hat auch der Tod meiner Mutter im November etwas dazu beigetragen, dass ich beschlossen habe, mich auf diesen spirituellen Weg der inneren Einkehr zu begeben. Vor allem habe ich aber einfach Lust zu wandern. Also habe ich mich recht kurzfristig dazu entschlossen, den August über frei zu nehmen und loszulaufen.

 

Mit dem Zug geht es von München über Stuttgart nach Paris. Da ich der Bahn nicht so wirklich traue und die Verbindungen nach Paris nicht im Stundentakt zu bewerkstelligen sind, habe ich meine Anreise so geplant, dass mir nun ca. 5 Stunden Zeit in Paris zu Verfügung stehen, bevor ich meinen Nachtzug nach Bayonne nehme. Das ist für so eine tolle Stadt wie Paris natürlich viel zu wenig Zeit, also beschließe ich, mir Notre Dame von außen anzuschauen und mich später noch mit meiner alten Studienfreundin Sonngard auf einen Wein zu treffen, bevor mein Zug um 21:46 abfährt. Bereits die Reise im Nachtzug ist spannend. Jede Menge Pilger, alle ganz aufgeregt und in Plauderlaune, so dass ich mit meinen 3 Kabinengenossen noch bis Mitternacht schwatze, bevor wir uns zu Ruhe betten. In Bayonne angekommen müssen wir noch mal einige Stunden überbrücken, bevor wir die Weiterreise mit dem Bus nach SJPDP antreten können.

 

Aber irgendwann gegen frühen Nachmittag kommen wir dann doch endlich an. Mein Bettnachbar und sein Freund wollen noch am selben Tag starten bis nach Roncesvalles. Was für ein Quatsch! SJ ist ein hübsches Städtchen, das ein paar kleine Runden mehr als lohnt. Außerdem sind wir ab morgen eh alle wochenlang auf dem Camino, wozu also die Eile? Aber sollen sie nur machen. Die zwei haben jede Etappe plus Unterkunft exakt geplant und wissen heute schon genau, wann sie wo sein wollen bzw. müssen. Ich habe mir zwar auch im Vorfeld eine Etappenliste erstellt und habe einen Plan, wie weit ich jeden Tag laufen möchte, aber zwanghaft daran halten werde ich mich wahrscheinlich nicht. Für heute habe ich mir noch ein kleines Hotelzimmer reserviert, um ein bisschen zu chillen und noch mal gut zu schlafen, bevor es dann morgen losgeht. Naja, vielleicht treffe ich die zwei ja noch mal. Wir werden sehen.

 

SJPDP ist übrigens wirklich ganz reizend. Ich drehe mehrere Runden erst bergab in Richtung Flüsschen, dann Bergauf zum Fort und dann noch durch ein paar Nebengässchen. Meinen ersten Stempel hole ich mir auch schon, dann kann nichts mehr schief gehen. Ich bin ganz erstaunt, wie viele Shops es hier gibt, um Ausrüstung zu kaufen. Haben sich die Leute denn nicht vorher damit befasst, was man alles mitnehmen muss? Das einzige, was ich mir für 2 Euro im Pilgerbüro noch hole, ist eine Jakobsmuschel. Am Rucksack befestigt wird mich diese in den nächsten Wochen als Pilger kenntlich machen. Mit diesem Erwerb ist mein Bedarf an "Souvenirs" dann aber auch befriedigt. Nachdem ich dann noch gemütlich mit Hunderten anderer Pilger zu Abend esse, lege ich mich zu Ruhe.

3.8.2018

St. Jean Pied de Port - Roncesvalles - Espinal (33,6 km) 

Es geht los! Punkt 8 Uhr sitze ich am Frühstückstisch zusammen mit einer weiteren Pilgerin. Die nette Hotelbesitzerin erzählt mir, dass diese Frau sehr viel Ehrfurcht hat vor dem Weg und seinen Herausforderungen. Daher wird sie heute nur bis Orisson laufen, was keine 8 km entfernt ist. Na so ein Unsinn. Realistisch sind 20-25 km täglich. Aufgrund meines begrenzten zeitlichen Rahmens habe ich durchschnittlich 35 km pro Tag veranschlagt. Außerdem will ich auch noch den ein oder anderen freien Tag einschieben, wenn es die Zeit erlaubt. Bis nach Roncesvalles will ich heute mindestens kommen, lieber noch ein Stückchen weiter. Da der erste Tag über die Pyrenäen führt, ist die erste Etappe allerdings auch als die anstrengendste bekannt. Es geht erstmal 1.200 Höhenmeter rauf und auf der anderen Seite wieder runter. Diese Höhenmeter habe ich im letzten Jahr auch geschruppt, das geht schon. Mehr Sorgen mache ich mir um meine Knie, weswegen ich von Anfang an mit Bandage links laufen werde. Sicher ist sicher.

 

Mit meinem Start gegen 9 Uhr bin ich äußerst spät dran. Wer in den Herbergen schläft, muss spätestens um 8 Uhr draußen sein. Daher ist mein Weg zu Beginn recht einsam, was mich aber gar nicht stört sondern mir Gelegenheit gibt, mich mit mir selbst und meinem neuen Dasein als Jakobspilger zu befassen. Nach einigen km komme ich dann auch auf die Idee, meine Teleskopstöcke raus zu holen, auf dass sie mich bei meiner Wanderung unterstützen. Es geht tatsächlich relativ schnell bergauf. Die Aussicht wird immer schöner. Das Sommerwetter ist ideal. Je weiter ich voran komme, desto mehr andere Pilger kreuzen meinen Weg. So langsam hole ich die Frühaufsteher ein. Dass der Camino francés der meist gegangene und stellenweise wirklich voll ist, war mir bereits bekannt. Zudem ist gerade Hauptsaison. Allein werde ich vermutlich nur sein, wenn ich mich bewusst dazu entschließe.

 

So geht es nun Stunde um Stunde dahin, und irgendwann bin ich oben, auf dem höchsten Punkt, und an der Grenze nach Spanien. Auf die andere Seite blickend ziehen eine Menge Wolken auf. Sollte es in Spanien nicht tendenziell sonniger sein als in Frankreich? Nun stellt sich die Frage des Abstiegs. Geradeaus geht es steil bergab über Felsbrocken und Hinkelsteine. Hierlang passieren wohl eine Menge Unfälle. Ich entscheide mich daher, die andere Variante zu nehmen. Diese ist zwar 2 km länger, dafür aber definitiv knieschonend. Nun bin ich wieder ganz allein, bis ich gegen 16 Uhr in Roncesvalles ankomme.

 

Hier ist ein Trubel! Roncesvalles ist für mindestens 90% der Ort der ersten Übernachtung in einer Pilgerherberge. Ich hole mir nur meinen Stempel und beantworte die Frage, ob ich auch ein Bett in dem großen und soweit ich gelesen habe schrecklichen Schlafsaal benötige, mit einem entschiedenen Nein! Stattdessen halte ich mich auch gar nicht lange auf sondern gehe weiter. Hier passiert es mir nun zum ersten Mal, dass mich Einheimische mit einem freundlichen "Buen Camino" begrüßen. Wie nett! Aber was antwortet man darauf? Aus Versehen antworte ich ebenfalls mit buen camino, obwohl nicht davon auszugehen ist, dass die beiden älteren Damen auf dem Weg nach Santiago sind. Ich beschließe, meine Reflexe beim nächsten Mal zu unterdrücken und einfach gracias zu sagen.

 

Ich komme durch ein Dorf, links, rechts, links, rechts führt mich die Strecke. Ob ich hier etwas Nettes finde? Vielleicht, aber lieber am Ortsausgang. Und schwupp die Wupp bin ich schon wieder draußen. Also laufe ich weiter. Oma ruft auf dem Handy an, sie macht sich Sorgen. Wie süß. Also begleitet sie mich ein Stück des Weges. Ich jammere ihr etwas vor, dass ich nicht mehr kann, meine Beine tun weh und ich würde jetzt gern irgendwo ankommen. Sie versucht mich bei Laune zu halten: "Vielleicht kommt hinter der nächsten Biegung der Ort. Vielleicht kommst du gleich an." Tatsächlich kommt der nächste Ort in Kürze. Hier fackele ich nicht lange, gehe ins nächstbeste Privatquartier und lasse mir für unverschämte 50 Euro ein Einzelzimmer geben. Ich habe noch kein Gefühl für die Preise, sonst hätte ich mich niemals auf diesen Deal eingelassen. Immerhin, das Zimmer ist groß und vor allem hat es ein Bett! Ich wasche zum ersten mal meine Wäsche und suche mir dann etwas zu essen. Auf meine Frage, ob es ein Menu de Peregrino gibt, sagt man mir, man hätte ein Menu del dia. Dann eben das. 3 Gänge, inkl. ein Bier und das alles für 11 Euro. Das sind eher die Preise, die mir versprochen wurden. Nach Beendigung des Mahls falle ich ins Bett.

 

4.8.2015

Epinal - Zubiri - Pamplona (36 km)

Heute starte ich eher. Ich habe mir gestern Abend einen hübschen Vorsprung vor den übrigen Pilgern erarbeitet, den will ich nicht aufgeben. Die Landschaft im Baskenland ist hügelig. Es geht immer wieder bergauf und bergab, wenn auch natürlich deutlich weniger als gestern. Insgesamt ist die Strecke heute allerdings recht unspektakulär. Ich ziehe durch kleine Dörfer, mache irgendwo eine Frühstückspause, der Pilgerstrom wird stärker, und ich ziehe mit. Mittendrin überholt mich der gutaussehende blonde Pilger, der mir gestern schon im Bus aufgefallen ist. Na den lasse ich mir nicht entgehen. "Dich kenne ich doch" rufe ich ihm zu. Stimmt, auch er kann sich an mich erinnern. Italiener aus Turin. Seinen Namen hab ich vergessen, aber er hat mir erzählt, dass sich seine Freundin vor kurzem von ihm getrennt hat, daher macht er nun den Jakobsweg. Er hat es eilig nach Zubiri zu kommen und hofft, dass er für Ana aus Madrid, die er in Roncesvalles kennen gelernt hat, auch gleich ein Bett reservieren kann. Na das geht ja gut los mit der Selbstfindung: Raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln... Bis Zubiri laufen wir gemeinsam, danach begibt er sich auf die Suche nach zwei Betten und ich nach einem Kaffee.

 

Das Wetter ist schön geworden heute, und so suche ich mir draußen ein Plätzchen. An einem Tisch sitzt nur ein Mann, also frage ich, ob ich mich zu ihm setzen kann. Charly aus Rotterdam, freut mich dich kennen zu lernen. Wir unterhalten uns ganz ausgezeichnet und als die Kaffeetasse leer ist fragt mich Charly, ob wir gemeinsam weiter laufen wollen. Aber gern doch. Für Charly ist es bereits das zweite Mal auf dem Camino frances. Vor 7 Jahren ist er ihn schon mal gelaufen. Mit Charly gemeinsam zu laufen ist unheimlich witzig. Wir stellen Stunden später fest, dass wir eigentlich die ganze Zeit über gelacht oder gemeinsam gesungen haben. Und daher beschließt er kurzerhand, mit mir bis nach Pamplona zu laufen. Das trotzt ihm zwar heute deutlich mehr als 40 km ab, aber er wird das schon durchhalten.

 

Nachdem sich die Quartiersuche gestern etwas kompliziert gestaltet hat, gehe ich heute kein Risiko ein und habe bereits am Morgen ein Hotelzimmer im Pamplona gebucht. Nun stellt sich die Frage, will ich mich Charly anschließen und in einer Herberge nächtigen oder meiner Reservierung nachkommen? Ich entschließe mich gegen Charly und für mein Hotel.

 

Pamplona ist eine sehr schöne Stadt. Und obwohl mir heute die Beine brennen, drehe ich meine Runde durch die Altstadt. Ich beschließe außerdem, mich für die Zeit meines Jakobsweges aus der Chor-WhatsApp-Gruppe zu verabschieden. Das gibt mir mehr Zeit für mich selbst. Beim Abendessen stellt mir der Kellner eine Flasche Wein hin. Ich nehme zögernd ein Glas, trinke es leer, schenke mir noch eins ein. Wenn du mir die Flasche nicht wegnimmst, ist sie nachher leer, sage ich ihm. Er winkt ab und tatsächlich trinke ich die Flasche leer. Betrunken und irgendwie befreit trotte ich in mein Hotel.

5.8.2015

Pamplona - Eunate - Puente la Reina (27 km)

Second day-butt day. Mir tut alles weh und ich bin froh, dass mich heute eine relativ kurze Etappe erwartet. Aus Pamplona raus geht es nun in Richtung der Windräder, die mir Charly gestern schon gezeigt hatte auf dem Puerto del Perdón. Ich stelle fest, dass ich loslasse, ich singe laut und viel, heute die Gesamtaufnahme von Miss Saigon. Ich beschließe, den Umweg über Eunate zu gehen, denn diese kleine Kirche muss wirklich äußerst sehenswert sein. Ist sie auch, und ich bin die meiste Zeit ganz allein dort. Ich ziehe meine Schuhe und Socken aus und laufe barfuß ein paar Mal drum herum. Dann kommen zwei Turis angefahren, schießen Fotos, lärmen rum, fahren wieder ab. Ich bin wieder allein. Zumindest bis ein Reisebus mit Senioren angefahren kommt. Das ist mein Signal und ich breche auf nach Puente la Reina. Mittlerweile fühle ich mich auch bereit für eine Nacht im Mehrbettzimmer, also checke ich in der ersten Herberge ein. Ein Viererzimmer, na das geht doch. Tatsächlich werde ich die Nacht allein in diesem Zimmer verbringen.

6.8.2015

Puente la Reina - Estella - Villamayor de Monjardin (32 km)

Hinter Puente la Reina geht es erstmal steil bergauf, was vielen Pilgern schon so einiges abverlangt. Danach allerdings läuft man die meiste Zeit durch Felder und hat wunderschöne Aussichten. Gegen Mittag bin ich in Estella eingelaufen. Hier ist es recht hübsch, und ich bedauere zum ersten Mal, nicht mehr Zeit mitgebracht zu haben. Hier würde ich gern eine Nacht bleiben, um mehr von diesem reizenden Ort zu sehen. Aber ich muss weiter. Hinter Estelle gilt es aufzupassen, dass man nicht falsch abbiegt, denn sonst kommt man nicht am Kloster Irache vorbei, und das wäre nun wirklich schade. Denn Irache beinhaltet eine Weinkellerei. Hier gibt es neben dem üblichen Wasserhahn für den durstigen Pilger auch einen Hahn, aus dem Rotwein rauskommt! Zwar fließt der Wein anstatt in Strömen nur als Rinnsal - es soll sich schließlich niemand betrinken! - aber da ich Zeit hatte, kein Pilger hinter mir war und ich für diesen Anlass meine kleine Wasserflasche geleert hatte, konnte ich mit etwas Geduld doch ca. zwei Gläschen abzapfen. Eine Pause hatte ich mir redlich verdient, also habe ich in Ruhe im nächstgelegenen Park ein Päuschen eingelegt und meinen Wein verzehrt.

 

Man sollte nicht unterschätzen, welche Wirkung der Wein auf den hungrigen Pilger hat. So LAUT und schön wie da habe ich die Elisabetta aus Roberto Devereux nie gesungen! Selbst die Gruberova wäre vor Ehrfurcht erblasst! Schade, dass mich niemand entdeckt hat. Es wäre mit Sicherheit der Beginn einer späten aber großen Karriere geworden!

 

Langsam ausnüchternd bewegte ich mich immer weiter auf Villamayor zu. Eine kleine Person mit einem Riesenrucksack watschelte vor mir her. Mafe (Maria Fernanda) aus Kolumbien, jetzt wohnhaft auf Mallorca. Sie meinte, in Villamayor gäbe es nur wenige Schlafplätze, daher hat sie sich ein Bett in einer Herberge reserviert. Huch? Na dann mach ich das lieber auch. Oben angekommen wählte ich mein Bettchen in einem Schlafsaal für ca. 12 Personen, von denen etliche Betten bereits belegt waren. Ich war hundemüde, vermutlich dem Wein geschuldet, und suchte meine dringend benötigte Ruhe. Vergeblich, denn am anderen Ende des Zimmers ließ es sich ein Ehepaar nicht nehmen, die ganze Zeit zu quasseln. Nach einer halben Stunde gab ich es auf. Stattdessen mische ich mich ins Gespräch. Dave und Liz aus Australien waren das, beide über 60, seit kurzer Zeit in zweiter Ehe miteinander verheiratet und nun auf ihrer Hochzeitsreise in Richtung Santiago. Na das ist doch mal was! Wieso sucht ihr euch denn keine Hotels? Weil man da niemanden kennenlernt, und der Jakobsweg ist so voll von interessanten Menschen. Hm, das klang plausibel.

 

Ich ging eine kleine Runde durch den Ort. Genauer gesagt ging ich die 30 Meter bis zur Kirche, denn viel größer war der Ort nicht. Davor auf der Bank saß ein seltsamer Mensch, der sich selbst als Friedensläufer bezeichnete. Er will bis Finisterre, danach zurück, danach nach Rom und weiter nach Jerusalem. Er sammelt unterwegs Wünsche von anderen Pilgern ein, die er mit nach Finisterre nimmt und dort verbrennt. Auch ich gab ihm einen Wunschzettel mit auf die Reise. Was für eine ungewöhnliche Idee eines ungewöhnlichen Menschen. Dennoch erschien er mir alles in allem ziemlich plemplem.

 

Später ging ich zusammen mit Liz und Dave Abendessen, bei dem wir weitere Flaschen Wein tranken. Was ich denn bisher so erlebt hätte. Ich erzählte ihnen von Charly, wie lustig es mit ihm war und dass ich ihn seit Pamplona nicht mehr getroffen hatte. Und wer kommt just in diesem Moment die Straße rauf: Charly. Was für ein Fest! Wir tranken eine weitere Flasche Wein zu viert und ich verabredete mich mit Charly für 6:30 Uhr des nächsten Morgens. Dann wollen wir gemeinsam bis nach Logrono laufen.

 

Ein wunderschöner Tag, voller überraschender Begegnungen und einigen "Erkenntnissen" lag hinter mir:

- It takes so litte to be comfortable.

- Kein Leben wurde auch nur um einen Tag verlängert, weil man sich Sorgen gemacht hat.

- Morgen wird sich um sich selbst kümmern.

 

 

7.8.2015

Villamayor - Los Arcos - Torres del Rio - Viana - Logrono (42 km)

In aller Herrgottsfrüh begeben wir uns auf unseren Weg. Es ist noch nicht mal hell, so früh war ich bisher noch nicht auf dem Weg. Allerdings haben wir uns auch eine gute Strecke vorgenommen. Unterwegs treffen wir eine Italienerin, die vor lauter Blasen kaum laufen kann. Die Arme ist mit ihrer Schwester losgegangen. Aufgrund ihres Handicaps haben sich die zwei allerdings getrennt. Das nenne ich Schwesternliebe... Später treffen wir noch weitere Italiener, die die Eigenschaft haben, immer in Gruppen zu laufen und furchtbar viel Lärm zu machen. Teilweise haben sie sogar Musik dabei. Die spinnen doch. Statt nur zu konsumieren, machen Charly und ich unsere eigene Musik,  zur Melodie von Guantanamera wird erst Puente la Reina, später un bocadillo, dann Torres del Rio und noch später hasta Logrono getextet. Hey big spender brachte uns nach Pamplona, Rule Britannia wird unsere Einzugsmusik in Los Arcos, wofür wir viel lautes Gelächter ernten.

 

In Torres treffe ich die beiden Jungs aus St. Jean wieder, die unbedingt am gleichen Tag noch loslaufen wollen. Lange hat es ja nicht gedauert, sie einzuholen. Heute bleiben sie in Torres, denn so steht es geschrieben in ihrem Plan. Wir gehen weiter, unsere Wege trennen sich nun für immer. Unterwegs begegnet uns das Tim-Burton-Gespenst: Ein graues Etwas, was auf dem Weg hockt, plötzlich aufspringt und wegläuft, dann wieder bewegungslos verharrt. Was ist das? Ein Hund? ein Außerirdischer? Nachher überholen wir es und erkennen darin einen Jungen, der immer wieder irgendwas interessantes auf dem Weg entdeckt und so lange hocken bleibt, bis seine Mutter ihn zu sich pfeift.

 

Immer wenn wir eine Pause machen, läuft Mafe an uns vorbei. Sie braucht keine Pause, isst ihr Obst und geht stoisch weiter. Der Mafe-Walk wird definiert als langsamer Marsch, bei dem sich der Rucksack rhythmisch von links nach rechts bewegt, während kurze Beine voranmarschieren. Es dauert nicht lange, dann haben wir Mafe wieder eingeholt. Bei der nächsten Kaffeepause wird sie uns ihrerseits wieder überholen. 

 

Viana ist eine hübsche Stadt! Schade, dass wir nach Logrono weiterlaufen, aber ein Bier trinken wir hier auf jeden Fall. An der Bushaltestelle steht die Italienerin von heute morgen. Sie ist hierhin mit dem Bus gekommen und will jetzt auch noch bis Logrono, aber nicht zu Fuß. Gott sei Dank habe ich bis jetzt weder Probleme mit Blasen noch mit dem Knie.

 

Gegen späten Nachmittag kommen wir in Logrono an. Charly hat noch keine Erfahrungen mit Übernachtungen im Hotel gesammelt, also suchen wir uns eins und nehmen jeder ein Zimmer. Danach gehen wir essen und trinken dazu natürlich eine Flasche Rioja. Erkenntnisse von heute:

- Ein männlicher Mafe ist ein Muffin. (wir lachen uns schlapp über diesen Witz)

- Charlys Wanderstock heißt Mathilda.

- We are the core of the camino!

8.8.2015

Logrono - Navarrete - Nájera (30 km)

Wir verzichten auf Frühstück und laufen gegen 8 los. Eine blöde Entscheidung, denn der nächste Ort kommt erst nach ca. 12 km. Unterwegs führt uns unser Weg zum Glück durch jede Menge Weinreben, weshalb wir uns entschließen, die unreifen Trauben zu vertilgen, um nicht zu verhungern. Es wachsen auch jede Menge Beeren am Wegrand. Diese tragen uns bis nach Navarrete. Das Wetter heute ist nicht so toll, es nieselt und wir laufen erstmals mit Regenjacke. Vom Aussichtpunkt, von dem aus man angeblich alle möglichen Berge sieht, sehen wir gar nichts. Wir laufen weiter, bis Nájera, gönnen uns noch mal ein Hotel und beschließen, am nächsten Tag getrennt von einander weiter zu gehen. Charly will reflektieren. Wir treffen uns bestimmt wieder.

9.8.2015

Nájera - Santo Domingo de la Calzada - Belorados (46 km)

Direkt nach meinem Abmarsch um 7:00 Uhr laufe ich an Mafe vorbei. Es sind nur wenige Kilometer bis zum nächsten Dort, in dem ich frühstücke, aber sie will nur eine Banane kaufen und zieht weiter. Wie macht sie das? Heute ist wieder mal ein Tag, an dem ich die meiste Zeit allein unterwegs bin. Ich treffe kurz vor Santo Domingo zwei Italiener und lasse mir "Azzurro" beibringen. Die beiden wollen sich gleich ein Bett suchen. Ich gehe zur bekannten Kirche, in dem ein Hahn gehalten wird aufgrund folgender wahren Begebenheit (ich schwöre):

Ein Ehepaar war mit deinem Sohn auf Pilgerfahrt und übernachtete in einem Wirtshaus in Santo Domingo. Die Wirtstochter verliebte sich in den Sohn, aber der wollte nichts von ihr wissen, also zogen die Eltern am nächsten Morgen weiter. Das beleidigte Mädchen hatte aber einen Silberbecher in das Gepäck des Jungen gesteckt und zeigte ihn wegen Diebstahls an. Der Becher wurde entdeckt und der Junge zum Tod durch Erhängen verurteilt.

Der Junge wurde erhängt, die Elten gingen danach noch einmal zu dem Baum, und stellten fest, dass der Junge immer noch am Leben war, denn Santo Domingo stützte ihn an den Beinen. Das Ehepaar begab sich also zum Richter, berichtete ihm von dem Wunder, das ja die Unschuld ihres Sohnes bewies. Der Richter saß gerade am Mittagstisch und sagte, dass der Junge so lebendig sei wie die zwei Hühnchen, die er gerade verspeisen wollte. Daraufhin flogen die beiden Tiere davon. Seitdem werden in der Kathedrale ein einem Käfig ein Hahn und zwei Hennen gehalten, die wöchentlich ausgewechselt werden. Wenn der Hahn kräht, bedeutet das Glück auf dem Jakobsweg.

 

Gekräht hat er zwar nicht, aber wen treffe ich nach meinem Sightseeing-Stop? Charly. Wir trinken ein Bier und gehen dann doch wieder gemeinsam weiter. Er hat beschlossen, in einer von Brasilianern geführten Herberge in Viloria zu übernachten. Ich will noch 9 km weiter bis nach Belorados, damit ich es morgen bis nach Burgos schaffe.

 

46 km ist echt ne Ansage. Ich habe keine Lust mehr, noch weiter zu laufen. Nur der Wille bringt mich voran und die Tatsache, dass ich mir einrede, ich bin echt das toughste Cookie auf dem Jakobsweg. In Belorados suche ich vergeblich nach einem Hostal. Irgendwann gebe ich die Suche auf und quartiere mich in einer Herberge ein. Furchtbar, mit 16 anderen ein Zimmer zu teilen, 4 Klos direkt neben den Duschen, keine Chance auf Privatsphäre. Meins ist das alles wirklich nicht. Ich setze mich in ein Restaurant zum Abendessen. Es kommen 2 Spanier und fragen, ob sie sich dazu setzen dürfen. Weitere Spanier folgen, der Tisch, vorgesehen für maximal 4 Leute, wird erweitert und am Ende sitze ich mit ca. 10 Spaniern zusammen. Mein Spanisch ist eingerostet, ich kann der Konversation nur mit viel Mühe folgen. Also beschließe ich, mich zu verabschieden und gehe in meine Herberge. Morgen früh erwartet mich die längste Etappe meines Caminos, deswegen will ich um 5 Uhr raus.

10.8.2015

Belorados - Burgos (52 km)

Ich habe mir einiges vorgenommen: 52 km an einem Tag, bis nach Burgos will ich es heute schaffen. Um keine Zeit zu verlieren, stehe ich still und leise um 5 Uhr als erster auf und mache mich auf den Weg, der während der ersten beiden Stunden nur vom Mond beleuchtet wird. Hin und wieder schalte ich meine Taschenlampen-App ein, um nach den gelben Pfeilen zu suchen. Menschen, die ich fragen oder Pilger, denen ich folgen könnte, sind noch keine unterwegs.

 

Wie immer sind die ersten 20 km problemlos. Irgendwo treffe ich ein deutsches Päarchen, die Burgos als Ziel ihrer Reise auserkoren haben. Auf meine Frage, warum sie denn nur eine Woche unterwegs sind, pampt er mich an: Wir wollen auch noch was anderes sehen! Ich denke mir, ich war dieses Jahr schon in Barcelona, Gran Canaria, Turin, Mailand und Bologna, sage aber nichts sondern beschließe, mich beizeiten wieder abzuseilen von den beiden.

 

Später komme ich an einem Ort vorbei (unmöglich, bei den ganzen Dörfern den Überblick zu behalten), an dem eine Menge Pilger sehr lecker aussehende Bocadillos verspeisen. Ich will auch eins. Nachdem ich aber auf die Wartezeit von mindestens 45 Minuten hingewiesen werde, storniere ich die Bestellung und ziehe weiter ins nächste Dorf, wo ich dann eine üppige Mahlzeit bestelle.

 

Gut gestärkt habe ich nun Kraft, mich den Berg empor zu kämpfen. Hier geht es über Schotter und größere Gesteinsbrocken. Die Radfahrer müssen absteigen und haben alle Mühe, ihre Räder den Berg hoch zu schleppen. Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Vor einigen Tagen, als ich mit Charly unterwegs war, hat uns einer ganz frech aus dem Weg geklingelt. Wir waren beide gerade in unseren Gedanken und sind stumm vor uns hin gegangen. Die Fahrradklingel hat uns buchstäblich aus unseren Gedanken geschreckt, woraufhin der Radfahrer gelacht und uns gefragt hat, ob wir geschlafen hätten. Ja, sowas in der Art. Unverschämtheit, das! Nun bin ich im Vorteil und komme gut voran. Von oben kann man in der Ferne Burgos sehen. Gott sei Dank, das schaffe ich nun auch noch.

 

Eine Weggabelung: Links scheint es ganz nahe zu sein ins nächste Dorf, aber der Pfeil führt mich gerade aus, und der muss ja wissen, wo es langgeht. Nach einem km werde ich aber wieder links geführt, auf anderer Strecke zum Dorf. Was für ein Umweg! Ich ärgere mich ziemlich und beschließe, die nächste sich bietende Abkürzung einfach zu nehmen, egal was der Weg mir vorgibt.

 

Ich habe Durst, meine Beine tun höllisch weh und ich habe auch einfach keine Lust mehr, noch weiter zu laufen. Das nächste Stück soll ätzend werden, an einer Straße entlang, den Flughafen Burgos umrundend. Es hilft ja nichts, ich beiße die Zähne zusammen und kämpfe mich weiter voran. Irgend wann, endlich, erreiche ich das Ortseingangsschild. Ich suche die nächste Bar auf, setze mich zu zwei Radpilgern, die jeden Tag 100 km fahren, und trinke ein Bier. Dann noch eins. Und noch eins. Es ist jetzt 18:30, ich bin seit über 13 Stunden auf den Beinen und habe keine Lust mehr, an der 6-spurigen Straße entlang zum Hotel zu laufen. Also beschließe ich, zu bescheißen, und fahre die letzten 3 km mit dem Bus. Da ich ja schon in Burgos bin ist es auch nur halb beschissen. Ich bin jedenfalls froh und mir selbst dankbar für diese Entscheidung.

 

Nach dem Check-In in meinem 4-Sterne Hotel, dass ich mir für die nächsten zwei Nächte gönne, gehe ich noch zum Friseur und lasse mir die Haare auf 3 Millimeter abrasieren. Fühlt sich das gut an! Ich esse noch eine Kleinigkeit und falle früh ins Bett.

11.8.2015

Burgos - wanderfreier Tag

Endlich einen Tag frei! Nach den Strapazen der letzten beiden Tage habe ich mir das aber auch wirklich verdient!

Nach dem Frühstück beginne ich mit meinem Stadtbummel. Man sagt, jeder Pilger kommt an den Punkt, wo er heult. Bei mir ist dieser Tag heute, an der Kathedrale, also genauer gesagt an der Kasse. Der Eintritt für die Kathedrale kostet 7 Euro, reduziert 6 Euro und für Pilger 3,50 Euro. Der arme müde Pilger wird so wertgeschätzt, dass er weniger zahlt als Rentner, nämlich genau die Hälfte des eigentlichen Preises, was außer ihm nur kinderreichen Familien zuteil wird! Das hat mich so gerührt, dass  ich mich in der Kathedrale echt zusammen reißen musste, um nicht gleich wieder loszuheulen. Der Weg hat mich soweit.

 

Burgos ist eine wunderschöne Stadt und die Kathedrale sehr sehenswert! Man sollte also genug Zeit einplanen oder, so wie ich, gleich eine richtige Auszeit nehmen. Auch die Burg habe ich mir bei der Gelegenheit angeschaut und den Rest des Tages bin ich mit Fran rumgeschlendert, einem Spanier, den ich bei Grindr kennengelernt habe :-) Der Tag war zu Entspannungszwecken wirklich Gold wert. Außerdem konnte ich mein Spanisch mal wieder auffrischen.

12.8.2015

Burgos - Hornillos del Camino - Hontanas (32,4 km)

Viel zu spät bin ich heute los, und während ich meinen Weg raus aus der Stadt finde, denke ich mir, wie schade, dass ich Burgos schon verlasse. Nun erwartet mich die Meseta, eine Art spanischer Wüste, eine Hochebene, die kaum von Bäumen bewachsen ist. Nach wenigen km lerne ich Erika kennen, Italienerin aus Verona, die planlos an einer Kreuzung steht und nicht weiß, wo sie lang muss. Ich weiß das auch nicht genau, bin aber entscheidungsfreudig und weil die Strecke nach links einladender aussieht, beschließe ich wir laufen links. Am Ende des Tages kommt man immer wieder auf den Weg zurück, daher ist eine falsche Abzweigung egal. In Belorados hatte ich mich verirrt, und dort haben mich Einheimische wieder auf den Weg zurück geschickt. Es wird schon gutgehen.

 

Erika sagt Dinge wie "I hate Meseta". Wie kann man sowas sagen, bevor es überhaupt losgeht? Ich entdecke meine philosophische Ader und gebe ihr zurück: love Meseta and Meseta will love you back. Oder der hier: Be good to Meseta and Meseta will be good to you. Der Pilgerstrom hat nachgelassen. Klar, dieses Stück gehört mit Sicherheit nicht zu denn beliebtesten Etappen, und es geht ca. 200 km so dahin, viel Einöde, kaum Schatten. Erika wünscht sich Regen. Das fehlte mich grad noch. Ich bin gerade erst ein bisschen braun geworden! Regen hatten wir hinter Logrono.

 

Es geht eintönig dahin. Wir singen uns einander Lieder vor, wobei sie dabei immer ihre Stöpsel in die Ohren stecken muss. So in der Art DSDS-Teilnehmer, über den nachher alle herziehen. Unterwegs treffen wir zwei deutsche Pilger, die heute nur 10 km gehen können, weil danach lange keine öffentliche Herberge mehr kommt. Wo ist das Problem? "Na die öffentlichen funktionieren gegen Spende, da muss man nichts zahlen." Ich bin sprachlos. "Letztens wollten wir uns ein Bett teilen, sollten aber trotzdem für zwei Betten zahlen! Das ist doch ne Frechheit! 5 Euro für ein Bett, dass wir nicht mal genutzt haben!" Ich bin fassungslos. Gott sei Dank übersteigt mein Budget pro Nacht 10 Euro durchaus (für meine Einzelzimmer im Hostal zahle ich immer so um die 30 Euro inkl. Privatbad). Nie würde ich auf die Idee kommen, meine Reise um 10 Uhr in der Früh zu unterbrechen, um ein paar Euro für ein Bett zu sparen. Menschen gibt´s...

 

In Hornillos trifft Erika Italiener-Freunde und bleibt deswegen dort. Ich ziehe weiter nach Hontanas. So weit ist das ja nicht mehr weg, 11 km. Der Weg dorthin erscheint aber schon endlos. Zu allem Übel hat es jetzt auch noch angefangen zu regnen! Erika wünscht sich Regen und ich muss es ausbaden, das ist ja wohl das Letzte! Hontanas versteckt sich bis zum letzten Moment, denn es liegt in einer Senke. Man sieht es tatsächlich erst, wenn man schon direkt davor steht. Ein hübsches Dörfchen, auch wenn es außer einem Hostal, zwei Herbergen und ein paar Häuschen nichts zu bieten hat. Ich schreibe beim Essen noch ein bisschen Tagebuch und lege mich zur Ruhe.

13.8.2015

Hontanas - Castrojeriz - Fromista (36 km)

Kurz hinter Hontanas habe ich einen netten Italiener (was auch sonst - es sind Unmengen Italiener unterwegs) kennengelernt. Er hat mir erzählt, dass er in München gewohnt hat mit einem superscharfen schwulen Mitbewohner. Er hat mir den Namen genannt, aber ich kannte den nicht. Auch dieser Italiener, dessen Name ich nicht mehr erinnere, hat mir erzählt, dass er auf dem Camino ist, weil seine Beziehung in die Binsen gegangen ist. Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass 80% der halbwegs jungen Leute den Camino aus Liebesgründen machen. Bin ich froh, dass ich so einen Kram grad nicht aufzuarbeiten habe.

 

In Castrojeriz habe ich mir einen Regenponcho gekauft, der über den Rucksack geht. Offensichtlich hat Erika mit ihren negativen Schwingungen die Wolken herbeigehext. Schade, dass ich keine Zeit habe, um hier ein bisschen zu verweilen. Aber ich muss weiter nach Fromista. Der Italiener begleitet mich bis Itera de la Vega, dort will er vielleicht übernachten. Falls nicht, funkt er mich an und wir gehen zusammen Abendessen. Ich laufe also allein weiter, vorbei an dem sehr hübschen Kanal, den Hape Kerkeling in seinem Buch so beschimpft hat, bis ich in Fromista einlaufe. Und wer sitzt dort, bei seinem Bier, gegenüber von dem Hotel, das ich ansteuere? Charly. Na das ist eine Überraschung! Man trifft sich tatsächlich immer wieder auf dem Camino! (Wo ist eigentlich Mafe?) Ich checke kurz ein, danach trinken wir noch ein Bier und da sich der Italiener tatsächlich zum Abendessen ankündigt und Charly früh ins Bett will, verabreden wir uns für den nächsten Morgen.

14.8.2015

Fromista - Carrión de los Condes - Calzadilla de la Cueza (38 km)

Um 7 Uhr geht's los. Heute erwarten uns zwei berüchtigte Etappen: Die Pilger-Autobahn und die Meseta-Hölle. Erste heißt so, weil der Weg permanent parallel zur Straße entlang führt. Besonders schön ist diese Etappe nicht. Das interessanteste ist noch eine Art Herberge, wo Pilger im Garten in Tipis übernachten können. Die ganze Etappe ist knapp 19 km lang, so dass man keinen sonderlich abwechslungsreichen Vormittag erwarten sollte.

 

In Carrión angekommen, haben wir erst mal gut gespeist. An diesem Tag ging es los, dass ich ein Pilgermenu mittags und noch mal eins abends verdrückt hatte und dazu jeweils ein Bier. An dieser geborenen Tradition sollte sich nun auch nichts mehr ändern. Wer jeden Tag mehr als 35 km wandert, kann ehrlicherweise auch so viel essen wir er will, denn so viele Kalorien wie da verbrannt werden können durch das zweite Menu gar nicht aufgefangen werden.

 

Im Zentrum standen Hundertschaften von Pilgern rum. Worauf warten die nur? Na klar, auf den Bus! Auf die uns am Nachmittag bevorstehende Pilgerhölle haben die Wenigsten Lust. Es geht 19 km meist schnurstracks gerade aus, ohne nennenswerte Beschattung, und gänzlich ohne Einkehrmöglichkeit auf dem Weg. Wir deckten uns also noch mal mit Proviant ein und dann ging es los.

 

Auch die schlimmste Etappe endet irgendwann. Diese hier war aber echt ätzend. Zwar gab es doch mehr Bäume als angekündigt (ich hatte es mir schlimmer vorgestellt), aber trotzdem war ich gegen Ende echt grantig und wollte nur noch ankommen. Wir haben uns dann auch getrennt, da Charly schneller unterwegs war als ich. Und dann kam wieder dieses Hontana-Erlebnis: Ohne Vorankündigung bist du auf einmal da. Und wer erwartete mich am Ortseingang neben Charly? Mafe! Wie nett, die hab ich ja eh schon vermisst!

 

Anders als Mafe haben Charly und ich unsere Hostals mittlerweile echt lieb gewonnen, und so suchten wir uns wieder zwei Zimmer. Beim Willkommensbier saß eine schreckliche Deutsche neben uns, die sich wirklich über alles beschwert hat. Angefangen hat es so:

- Du bist deutsch und lässt mich dieses schreckliche Englisch sprechen? - noch lustig. Dann:

- Ich musste heute morgen ganz kurzfristig entscheiden, wie weit ich laufen will! Das weiß ich doch morgens noch nicht!

(Sie ließ ihren Rucksack transportieren, und der Transport will natürlich wissen, wohin er liefern soll.)

- Wo sind die Wägen mit dem Essen, die es bis Burgos gab? - Sie hatte diesen Teil im letzten Jahr gemacht und war Verpflegungsstände gewöhnt

- Ich will keine grünen, sondern gelbe Bananen kaufen! - Weil die grünen sich im Gegensatz zu den gelben transportieren lassen, ohne zu zermatschen?

- Wieso gibt es hier nichts zu essen? - Tat es, sie aß Tortillas.

- Aber ich will ABENDessen, und das nicht erst um sieben!

So ging das die ganze Zeit. Überhaupt sind mir ja Leute höchst unsympathisch, die in Gegenwart von Nicht-Deutschsprachlern einfach deutsch statt englisch reden, nur weil jemand da ist, der sie versteht und für sie übersetzen soll (was ich natürlich nicht gemacht habe). Ich habe ihr konsequent auf englisch geantwortet. Irgendwann ist die dann abgerauscht. Vermutlich hält sie mich jetzt für arrogant, aber das ist mir ziemlich wurscht.

 

Nach dem Abendessen haben wir noch eine Minirunde durch den Ort gedreht und dabei aus Versehen der bodybuildenden Dorfsau durchs Fenster beim Muskelstählen zugeschaut. Kann ich was dafür, wenn er die Musik in seinem zum Fitti umfunktionierten Wohnzimmer dermaßen laut aufdreht, dass jeder denken muss, es sei eine Bar?

 

Am Ende des Tages haben wir beschlossen, uns für morgen nicht zu verabreden, sondern uns auf dem Camino zu treffen. Und was war? Wir haben original zur gleichen Zeit unsere Zimmer verlassen und gemeinsam gefrühstückt.

 

 

15.8.2015

Calzadilla de la Cueza - Sahagún - Calzadilla de los Hermanillos (37 km)

Es ist Camino-Halbzeit. Heute sind wir vor allem schweigsam neben einander hergelaufen. Irgendwann hat er mir erzählt, was er beruflich macht. Wir haben über sowas bis jetzt wohlweislich noch nicht gesprochen. Er ist jedenfalls nicht Bürgermeister von Rotterdam, wie ich zwischenzeitlich mal vermutet hatte :-)

 

Irgendwo auf halber Strecke hat uns eine 1,85m-Walküren-Ungarin eingeholt und uns innerhalb von 10 Minuten ihre komplette Story reingepresst. Die letzten Tage ist sie 35 km pro Tag gelaufen, Pamplona hat sie in 2 Tagen erreicht und musste dann zum Arzt und der meinte, was sie sich denn dabei denke. Dabei ist sie doch so sportlich, blablabla. Als ich ihr gesagt habe, wir haben Pamplona auch in 2 Tagen erreicht und Charly ihr gesteckt hat, dass ich 50-km-Etappen hinter mir habe, meinte sie pissig: I know you are super fast but it´s not a competition! Ich weiß das, sie auch? Wir sind dann in die nächste Bar abgebogen, um einen Kaffee zu trinken (um sie los zu haben) und sind dann weiter getrottet.

 

Am späten Nachmittag hab ich Charly zurück gelassen und bin noch ein Dorf weiter gelaufen. Mein Knöchel tut höllig weh. Zwei kleine Blasen hab ich auch, aber die gehen. Hoffentlich schaffe ich es morgen nach Leon. Wenn nicht, nehme ich den Bus.

 

Erkenntnisse der letzten Tage:

- Man wacht jede Nacht irgendwann auf und träumt komisches Zeug.

- Charly und ich haben mittlerweile ein Stadium der Telepathie erreicht. Oft sage ich was und er sagt: Das wollte ich gerade sagen. Und er hat erkannt: ich habe immer recht :-)

16.8.2015

Calzadillas de los Hermanillos - León (45 km, davon 25 mit dem Taxi)

Mein Fuß tut dermaßen weh, dass ich es mit Mühe und Not bis Reliegos schaffe. Dort bestelle ich mir ein Taxi und fahre nach León. Komme mir echt blöd vor, wie ein Cheater, zumal ich auch an Mafe vorbeigefahren bin. Die Strecke nach Leon ist echt nicht schön, landschaftlich habe ich nichts verpasst. Aber doof ist es trotzdem. Ich will allerdings nicht riskieren, auf die letzten 350 km noch einige Tage auszufallen, denn das würde meinen Zeitplan durcheinander bringen. Nun bin ich also in Leon, hab Pillen und Salbe gegen die Entzündung besorgt und hoffe, dass ich übermorgen wieder einsatzbereit bin.

17.8.2915

Leon - wanderfreier Tag

Leon ist toll! Hab mir von meiner Grindr-Bekanntschaft Alex (ein Schnittchen!) die ganze Stadt zeigen lassen. In der Kathedrale, wo ich übrigens Charly kurz getroffen habe, wurde ich von der Ticketverkäuferin für einen Südamerikaner gehalten, Mexiko oder Argentinien. Hach, das tut gut. Obwohl ich natürlich weiß, dass mein Spanisch noch ziemlich holprig ist, trotzdem schön.

 

In Leon gibt es eine Menge zu sehen. Der freie Tag tut mir und meinem Fuß sehr gut. Und in meinem 4-Sterne-Hotel, dass ich mir wieder für 2 Nächte gönne, lässt es sich auch gut aushalten. Für morgen hab ich mir trotzdem ein Ticket nach Astorga gekauft. Fühle mich immer noch wie ein Cheater.

18.8.2015

Leon - Astorga (55 km, davon 30 mit dem Bus)

Hab das Ticket nach Astorga umgetauscht gegen eines nach Hospital de Orbigo. Die tolle Brücke will ich mir auf keinen Fall entgehen lassen. Außerdem verschafft mir das Gelegenheit, heute eine relativ kurze Strecke (25 km) auszuprobieren und dann über die nächste Etappe nachzudenken. Dummerweise komme ich erst gegen 12 in Orbigo an. Vor 17 Uhr bin ich sicher nicht in Astorga. Blöd. Dann muss ich den Besuch der Kathedrale und des Bischofspalastes entsprechend zügig angehen. Und falls alle Stricke reißen, mache ich morgen noch mal eine kurze Etappe und starte entsprechend später. Ich bin meinem Zeitplan aktuell ohnehin 2 Tage voraus, also alles gut.

 

Hab es tatsächlich geschafft von Orbigo nach Astorga geschafft! Auch wenn mich mein Fuß umbringt. Der Weg selbst war allerdings genial, endlich hat mich der Camino wieder. Bin an einer Ruine vorbeigekommen, in dem seit Jahren ein Päarchen "wohnt" bzw. haust, vermutlich die Überbleibsel eines ehemaligen Bauernhofes. Die hat echt der Himmel geschickt. Weiß der Kuckuck warum, hatte ich auf einmal total Lust auf einen Ananassaft, und keine 500 Meter später sehe ich ihren Stand, darauf aufgebaut Snacks und Getränke aller Art, alles gegen Spende. Und dort habe ich tatsächlich meinen Ananas-Saft bekommen!

 

Wieso habe ich eigentlich immer in Kirchen das Gefühl, gleich losheulen zu müssen? Erst in Orbigo, und dann in Astorga auch noch mal. In Astorga war es übrigens gar nicht so einfach, ein Hostal zu finden, da der Ort touristisch ziemlich voll ist. Hab dann etwas abseits doch noch eins gefunden und für die Besichtigung der Kathedrale und des Palastes war letzten Endes auch noch genug Zeit.

 

Beim Abendessen habe ich dann noch zwei sehr charmante Österreicherinnen kennen gelernt, die den Camino in Leon gestartet haben. Hab mich wie ein alter Hase gefühlt und konnte mit jeder Menge Tipps aufwarten. Das war wirklich ein sehr hübscher Abend mit den beiden. Leider bin ich ihnen später nicht mehr begegnet. 

19.8.2015

Astorga - Castrillo de los Polvozares - Santa Catalina de Somoza - Rabanal del Camino - Foncebadón - El Acebo (40 km)

Habe mich dazu entschlossen, den Umweg über Castrillo auf mich zu nehmen, den sowohl mein Reiseführer als auch Alex mir empfohlen haben. Zwar musste ich 2 Mal nach dem Weg fragen, habe es aber letztlich doch noch gefunden. Leider war alles geschlossen, so dass mein Plan, dort zu frühstücken, nicht aufgegangen ist. Der Weg ortsauswärts war ziemlich verwirrend, wieder musste ich nachfragen und bin auf Rat einer alten Frau einen schönen Waldweg entlang gelaufen, der mich aber völlig in die Pampa geführt hat. Querfeldein suche ich mir also meinen Weg zurück auf den Camino, komme zufällig richtig in Santa Catalina raus und frühstücke erst mal lecker.

 

Dann geht´s bergauf, durch Rabanal, was wirklich schön ist, nach Foncebadon, was wirklich schrecklich ist. Dort wollte ich nicht bleiben. Außerdem hat mich ein sexy Spanier überholt, der heute noch nach Acebo will. Das klingt doch nach einem Plan. In Foncebadon trinke ich aber trotzdem ein schnelles Bier. Schnell deswegen, weil meine zufällige Bier-Gesellschaft aus einem äußerst unsympathischen Deutschen besteht, der meint, die Camino-Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Während dessen überholen mich 2 Frauen und ein Spanier. Ich dachte mir: die schauen nett aus! Also ausgetrunken und losmarschiert, ihnen hinterher in Richtung Cruz de Ferro. Und während ich hinter ihnen herlaufe denke ich mir, ich überhole sie besser, sonst kriege ich nachher kein schönes Bild vom Kreuz.

 

Die beiden Engländerinnen, Meghan und Miriam, sind saulustig! Also schließe ich mich ihnen an. Am Kreuz lege ich meinen Stein mit der Inschrift "Aus Omas Garten" ab, wir machen ein paar schöne Fotos und marschieren zu viert weiter. Der Spanier, Carlos, ist Gesangslehrer aus Barcelona. Seine Stimme klingt ausgebildet, er singt vor allem LAUT und wäre er ein Opernsänger, läge seine Karriere vermutlich schon hinter ihm. Ich beeindrucke ihn mit fließenden Koloraturen und Trillern (ich glaube ich singe ihm Allelujah aus dem Exultate Jubilate vor). Wir kommen an der angeblichen Templerhütte Manjarin vorbei, trinken ein weiteres Bier und singen den Rest des Weges alle gemeinsam Musicals.

 

In Manjarin haben wir außerdem den sexy Spanier wieder getroffen, der sich uns prompt anschließt. Na geht doch! Er hat von einer Abkürzung gehört. Wie sich herausstellt, ist die Abkürzung keine Abkürzung sondern lediglich ein Weg im Schatten mit einer Menge Mücken und umgefallenen Bäumen. Na das hat sich gelohnt denke ich mir angefressen. Aber meine Begleitung Meghan ist ganz bezaubernd, wir unterhalten uns vorzüglich!

 

In Acebo angekommen, ist die Entscheidung klar, dass ich heute mal wieder in einer Herberge nächtigen werde. Zu fünft teilen wir uns ein 8-Bett-Zimmer. Die Herberge ist der Hit und verfügt sogar über einen Pool, den wir erst mal nutzen. Der Spanier, Javi, entpuppt sich als Nervensäge, macht keinen Hehl daraus, dass er auf Meghan steht, was diese zunehmend nervt. Der Tag geht aber gut zu Ende, wir trinken viel und gehen dann in unsere Kojen.

20.8.2015

El Acebo - Molinaseca - Ponferrada - Cacabelos (34 km)

Um 6 Uhr klingelt Javis Wecker zum ersten Mal. Gegen 7:45 stehen wir auf. Javi ist echt angepisst. Dennoch starten wir zu fünft. Die Stimmung wird auch nicht besser, als wir nach 3 (!) km die erste Pause einlegen um zu frühstücken. 80% von uns sind jedoch guter Dinge, also laufen wir nach erfolgter Stärkung weiter nach Molinaseca. Hier ist eine weitere Pause fällig, denn er Ort ist sehr idyllisch. Einen Snack wusste Javi allerdings zu verhindern, so dass wir nach kurzer Zeit und einem Abstecher in einer Apotheke weiter trotten Richtung Ponferrada.

 

DAS Highlight in Ponferrada ist die Templerburg, die man gesehen haben muss. Widerwillig folgt uns auch Javi, obwohl er seine Tagesplanung schon davon schwimmen sieht. Aber wir sind uns einig, die Besichtigung hat sich gelohnt! Im Anschluss daran Mittagspause gemacht bei dem wohl unfreundlichsten Kellner der Stadt ("Könnt ihr eure Bestellung nicht zusammen aufgeben?"). Für Kaffee ist keine Zeit mehr, weiter geht´s, bei 40 Grad im Schatten. Zumindest sagt das die nächste Apotheke, an der wir halten. Javi lässt seinem Unmut jetzt freien Lauf und ich wünsche mir mittlerweile, er würde die Gruppe verlassen. Es heißt, der Camino gibt dir nicht das, was du willst, sondern das, was du brauchst. Und scheinbar war es eine höhere Notwendigkeit, jedenfalls beschließt Javi, die Gruppe zu verlassen, denn er will am nächsten Tag in O Cebreiro sein. Zur Feier des Tages kehren wir in der nächsten Bar ein, bestellen jeweils ein Bier und dann noch eins. Meghan kullern vor Erleichterung die Tränen runter. Nach 4 km legen wir den nächsten Bier-Stopp ein, und das Gefühl, dass wir heute trotz der nicht so langen Strecke erst spät ankommen werden, wächst.

 

Ich gehe mit Miriam voran und wir beschließen, mit kühlem Bier auf die Nachzügler zu warten, was diese sehr erfreut. Meghan hat mittlerweile allerdings echte Probleme mit ihrem Bein und kommt nur noch mühsam voran. Vermutlich geht es ihr so wie mir vor Leon. Da ich aber nun zu 100% wieder hergestellt bin, mich stark fühle und ein Gentleman sein will, beschließe ich, Meghans Rucksack zusätzlich zu meinem zu tragen und ihr meine Teleskopstöcke zu überlassen, was sie nach anfänglicher Ablehnung dann doch annimmt. Man soll nicht glauben, welch einen Unterschied ein zweiter Rucksack macht. Ich benötigte jetzt jedenfalls regelmäßig Pausen, die ich, immer noch vorne weg mit Mim, immer dann einlege, wenn wir außer Sichtweite sind.

 

Da es Meghan immer schlechter geht beschließen Carlos und ich, mit dem Gepäck voran zu gehen und schon mal ein Zimmer klar zu machen. Das erste Hostal war leider voll, aber die Besitzerin hat uns neben Erfrischungen auch zwei Doppelzimmer in einem nahe gelegenen Hostal organisiert. Wir lassen alles da, gehen zurück und holen die Mädels, essen in Hostal 1 Abend und ziehen dann weiter in Hostal 2, wo wir gegen 21:30 ankommen und ich mir mit Carlos ein Zimmer teile. Die 3 wollen morgen einen Ruhetag einlegen. Abends informiere ich Carlos, dass wir alle um 8 frühstücken, aber ich dann allein weiterziehen werde, denn auch ich will es morgen nach O Cebreiro schaffen.

21.8.2015

Cacabelos - Villafranco del Bierzo - O Cebreiro (41 km)

Heute war wieder ein einsamer Wandertag. In Villafranco wäre ich (mal wieder) gern länger geblieben. Wenn ich den Camino das nächste Mal mache, weiß ich jetzt zumindest schon wo es sich lohnt, länger zu bleiben. In Villafranco gibt es zwei Wegalternativen: Unten an der Straße lang, wo es eng und gefährlich und nicht sonderlich schön ist (Hape hat die Strecke verflucht, aber der meckert eh viel in seinem Buch), und den Camino duro, der etwas länger ist, anfangs lang und steil bergauf geht, dafür aber fernab der Zivilisation verläuft und eine wunderbare Aussicht verspricht. Das war mein Weg. Unterwegs bin ich zwar fast verdurstet, habe ein Dorf gesucht und eine Barbesitzerin rausgeklingelt, die mir daraufhin Ihre Bar aufschloss, zwei Colas verkauft und mich meine Wasserflasche hat auffüllen lassen, aber die Aussicht ist wirklich ein Traum.

 

In einem der nächsten Dörfer hab ich die schreckliche Ungarin wieder getroffen. Race is still on for her. Sie hat sich mit einer netten Holländerin (Madi) zu mir gesetzt und wieder getextet, dass sie ja noch weiter laufen könnte, aber die Hitze, die HITZE! Und ob ich denn auch den Camino duro gelaufen wäre (so wie sie). Hat mich gegrüßt wie ein Topmodel, vorbei stolziert mit kurz erhobener Hand und Blick gleich wieder nach vorn gerichtet, ohne ein Wort zu verlieren. Auch ihren Namen wollte sie mir nicht verraten. It´s a secret. Schnepfe. Nachher meinte sie, sie heißt Lala. Wer in Gottes Namen heißt Lala? Mit Madi hätte ich mich gern noch länger unterhalten, die schien echt nett zu sein. Habe es aber vorgezogen, mein Bier schnell auszutrinken  und weiter zu ziehen.

 

Es geht wieder stramm bergauf. Ich komme gegen 7 an einer Herberge vorbei, überlege mir dort zu bleiben, trinke ein Bier und ziehe dann doch weiter. Gegen 21 Uhr, spät wie nie, erreiche ich O Cebreiro und bin erstaunt, wie popelig klein und gleichzeitig abartig voll es hier ist. Ich dachte, dort wohnen 1.300 Leute, dabei war das die Höhenangabe... Die Herbergen hatten alle schon Schilder an der Tür  - completo - aber ich probiere es trotzdem im erstbesten Hostal. Ja, man habe noch ein Zimmer, das kostet allerdings 40 Euro. Perfekt, das nehme ich. Das Zimmer ist eigentlich für 3 Personen gedacht. Sollte es noch einen Pilger geben, der noch später hier einläuft als ich, kann ich ihm zumindest Obdach gewähren. Ich vermisse Meg, Mim und Carlos...

22.8.2015

O Cebreiro - Triacastela - Sarria (40 km)

Da denkst du, du bist oben, und dann geht es immer noch weiter bergauf: Zur Passhöhe San Roque. Hier war es abartig voll. Man merkt deutlich, dass die Pilgerschar exponentiell steigt, je näher man dem Ziel kommt. Da in Santiago die Compostela ausgestellt wird, wenn man die letzten 100 km zu Fuß gegangen ist, beginnen viele Pilger ihren Jakobsweg ebenda. Mein Ziel des heutigen Tages würde den Start für 90% der Pilger bedeuten, denen ich in den darauf folgenden 3 Tagen begegnen sollte. Aber erstmal heute ankommen.

 

Der Weg ging nun wieder bergab und ich begegnete einem netten Sevillaner, mit dem ich bis zum nächsten Kaffee gemeinsam pilgerte. Triacastela hab ich wenig Beachtung geschenkt, schließlich wollte ich weiter. Ab hier wurde der Weg nun wieder einsam, denn die Etappen-üblichen 20-25 km waren erreicht. Für mich ging es wieder bergauf. Begegnungen hatte ich kaum. Allerdings bin ich an einer Art Kommune vorbei gekommen. Die Situation war ganz ähnlich wie vor Astorga: Ein Stand mit Snacks und Getränken gegen Spende vor einem verfallendem Bauernhof, aber besser in Schuss und noch mit Dach. Darin saßen 5 Leute auf Sofas, die mich gleich rein gewunken und zum Essen eingeladen haben. Darauf verzichtete ich aber vorsorglich. Um nicht unfreundlich zu sein, habe ich mich 15 Minuten dazu gesetzt und von ihrem selbst gemachten Kefir getrunken. Dann bin ich weitergezogen.

 

Charly hatte mich schon darauf hingewiesen, dass man Galizien daran erkennt, dass es überall stinkt, denn die Landwirtschaft ist hier sehr ausgeprägt. Tatsächlich sollte mich der Stallgeruch von nun an immer begleiten. Zudem waren nun auch starke Regenfälle angekündigt, die man bereits von O Cebreiro aus aufziehen sehen konnte. Da es nur noch wenige km bis Sarria waren, und ein leichter Nieselregen einsetzte, legte ich einige km joggend zurück, was mir aber nichts brachte. Es begann, in Strömen zu regnen, so dass ich Zuflucht in einer Bar gesucht habe und nun mein in Castrojeriz erstandener Poncho zum Einsatz kam.

 

Das erste Hostal war voll. Sowas. Dann eben zum nächsten. Auch voll. Na so ein Mist, nehmen mir die 100-km-Pilger auch noch mein Bett weg! Ich beschloss, es nun bei jedem Hotel zu probieren, das auf dem Weg lag. Da ich einigermaßen durchnässt war, hatte ich überhaupt keine Lust auf Herberge. Stattdessen stand ich nun vor dem vermutlich besten Hotel der Stadt, wieder ein 4-Sterne-Bunker. Sie hatten noch ein Zimmer frei, für 85 Euro die Nacht. Na dann nehme ich das. Das beste an meiner Wahl: Das Zimmer hatte eine Badewanne. :-)

23.8.2015

Sarria - Portomarin - Airexe (41 km)

Ab jetzt habe ich keine Etappenziele mehr, sondern schaue einfach, wie weit ich komme. Die neu hinzgekommenen Turigrino sind überall und in ihrem Übermut echt nervig. Sie müssen allen zeigen, wie fit sie sind. Sollen die erstmal 700 km laufe, dann sehen wir schon, ob sie noch bergab rennen können oder zeigen wollen, dass die den Camino auch rückwärts gehen könnten. Abgesehen von ihrem Übermut erkennt man sie an verschiedenen Dingen:

1. Sie lassen ihr Gepäck transportieren, denn sie wissen schon genau, wo sie heute Nacht schlafen werden.

2. Sie sind so sauber.

3. Sie sind alle noch ganz begeistert.

4. Viele haben neue bzw. falsche Schuhe an.

5. Sie sind noch ganz blass an den Beinen.

 

Unterwegs einen kleinen Kaffee-Stopp eingelegt. Da es vorher geregnet hatte, waren draußen alle 15 Tische leer. Nur an einem saß ein Mädel, Raquel, und genau zu der hab ich mich gesetzt. So läuft das nämlich mit dem Camino-Spirit. Wir haben ca. 20 Minuten geratscht, uns anschließend mit Küsschen und Umarmung verabschiedet und uns danach nicht wieder gesehen.

 

Auf dem weiteren Weg hab ich Emanuele (wurde mal wieder Zeit für einen Italiener) aufgegabelt. Emanuele war das heißeste Eisen auf dem Camino und hatte offensichtlich Probleme mit dem Knie. In Portomarin haben wir uns wieder verloren und uns 2 Stunden später wieder getroffen, nach dem jeder für sich einen langen Marsch durch Wind und Regen hinter sich hatte. Der Poncho ist heute mein bester Freund.

 

Emanuele ist vor 3 Tagen in Leon gestartet, mit viel zu viel Gepäck. Die Tatsache, dass er Soldat ist und lange Märsche mit Gepäck gewohnt ist, hat ihn die Lage falsch einschätzen lassen. Sein Plan war, 75 (!!!) km pro Tag zu machen. Sein Rucksack wog am ersten Tag über 20 Kilo, bis er die Hälfte nach Hause zurück geschickt hat. Nun hat er Probleme mit dem Knie und muss echt kämpfen. Auch Emanuele ist, wie bisher alle Italiener, aus Liebesgründen hier.

 

Eigentlich wollten wir in einem Hostal übernachten, aber das ist hier schwierig, da die guten Häuser allesamt von den Turigrinos okkupiert sind. Also haben wir uns in einer kleinen Herberge mit der nettesten Besitzerin einquartiert, die mir einen spanischen Akzent attestiert hat und überrascht war, meinen deutschen Pass zu sehen :-) Nach dem Abendessen sind wir als letztes ins Bett gegangen und am nächsten Morgen waren wir ebenfalls die letzten. 5 Minuten vor Ladenschluss haben wir kurz vor 8 die Herberge verlassen.

24.8.2015

Airexe - Palas de Rei - Mélide - Arzua (42 km)

Gefrühstückt haben wir im Lokal gegenüber, wo wir am Vorabend auch schon zu Abend gegessen haben. Und wer marschiert just in dem Moment, in dem wir das Lokal verlassen, an unserer Nase vorbei? Charly! Nun gibt es keinen Zweifel mehr, Charlys Prophezeiung wird sich bewahrheiten: Wir werden Santiago gemeinsam erreichen. Wie witzig, zumal ich ihm am Vorabend noch eine Nachricht geschickt habe, wo er denn sei, um ggfs. auf ihn zu warten.

 

Emanuele wird seinen Weg nicht zu Ende bringen können. In Palas de Rei wird er einen Bus nach Santiago nehmen. Mit seinem Knie schafft er den Rest der Strecke definitiv nicht mehr. Und so schließt sich mal wieder der Kreis und Charly und ich gehen allein weiter. Wir schicken ein Foto von uns an Mafe und fragen: Wo bist du? Auch sie ist in der Nähe, ein bisschen voran. (Wie macht sie das?) Warte auf uns, und hab nachher ein paar Bier parat! Wir melden uns wieder.

 

Der Camino hatte durch die Masse an neu hinzugekommenen, naja, "Pilgern" nun deutlich an Reiz verloren. Wurde ein buen camino bisher mit buen camino pariert, kam nun buenos dias, hola, oder - ganz schlimm - hello. Oder nur ein verständnisloses Lächeln. Gespräche mit den Neuankömmlingen fanden praktisch nicht statt. Stattdessen gesellte sich gleiches zu gleichem, die alteingesessenen Pilger suchten die Nähe der Alten und ignorierten weitgehend die Neuen. Ich stellte dabei keine Ausnahme dar. Ich hörte auf, als erstes zu grüßen, außer es waren eindeutig Pilger.

 

Kurz vor Arzua trafen wir Mafe und feierten unser Wiedersehen bei Bier und grünem Tee. Danach gingen Charly und ich weiter, wir waren ziemlich betrunken, und versuchten unser Glück auf der Suche nach einem Hostal in Arzua. Aber es war nichts zu machen. Egal wo wir nachschauten, überall prangten schon die Completo-Schilder an der Tür. Was also tun? Bleibt uns wohl nichts anderes übrig als weiter zu gehen. Da es schon 18 Uhr war und der Reiseführer das nächste Dorf 11,5 km entfernt verortete, machten wir uns ernsthaft Gedanken nach Alternativen. Wenigstens hatte der Regen aufgehört und es wurde wieder angenehm warm. Wir stellten uns die Frage: Wenn wir ein Lokal finden, wo wir essen aber nicht schlafen können, und dadurch riskieren, draußen zu schlafen: Was machen wir? Ignorieren wir das Essen zum Zwecke der Schlafplatzsuche oder essen wir? Wir waren uns einig, wir würden essen. Letzten Endes fand sich etwas abseits vom Weg dann doch noch beides: Eine Herberge, die exakt noch 2 Betten in einem Doppelzimmer mit eigenem Bad für uns frei hatte und es hab leckere Pizza. Der Camino gibt dir, was du brauchst.  

25.8.2015

Arzua - Santa Irene - Santiago de Compostela (39 km)

Der letzte Tag auf dem Camino verlief weitgehend unspektakulär. Das Wetter war wieder so lala, weswegen man im Vorfeld nichts von der Kathedrale gesehen hat. Charly wurde emotional, wollte ein bisschen allein laufen. Ich hab ihn gelassen.

 

Gegen 16 Uhr sind wir am Ziel unserer Reise angekommen: Wir standen vor der Kathedrale. Ich war ziemlich stolz auf mich, ein tolles Gefühl! Weniger darauf, es geschafft zu haben, als vielmehr darauf, ein Pilger zu sein, der 800 km gewandert ist. Auch unterwegs habe ich öfter voller Stolz vernommen, wie die Turigrinos in ihrem Geplapper das Wort "peregrino" benutzt haben, um uns zu beschreiben. Wir waren schon anders als die Hundertschaften auf den letzten Kilometern. Wir hatten den Camino-Spirit. Sowas entwickelt sich nicht in 5 Tagen, erst recht nicht wenn einem alles hinterher getragen wird.

 

Am Platz haben Charly und ich die obligatorischen Fotos gemacht und unsere Compostela abgeholt. Anschließend fanden wir wieder durch Glück im Unglück - ein Rezeptionist eines ausgebuchten Hotels machte einen Anruf an einen Bekannten - ein Doppelzimmer für uns zwei. Später haben wir uns rechtschaffen betrunken und versucht, Gläser zu klauen für die Flasche im Hotelzimmer. Wie peinlich und was für ein unwürdiger Abschluss. Mir ist es heute noch peinlich, wenn ich an dem Lokal vorbei gehe :-)

26.-28.8.2015

Santiago - A Coruna - Santiago

Nach dem Frühstück waren wir noch in der Messe und haben dort Mafe wieder getroffen! Der Kreis schließt sich. Das Gefühl, dass diese Messe nur für mich, also für uns Pilger ist, was schon etwas ganz besonderes. Nicht weil es um mich ging, aber dass ein Gottesdienst gemacht wird nur für uns und die Leute, die ihn halten, dieses Bewusstsein haben, ist schon sehr bewegend. Anschließend haben Charly und ich noch mal einen gehoben. bevor er am nächsten Tag weiter wandert nach Finisterre und ich heute noch nach A Coruna weitergefahren bin. Ich hatte aufgrund meines strammen Marsches nun noch ein paar Tage frei, und was soll man bei diesem Regen anderes machen als in eine Großstadt zu fahren?

 

Und da sitze ich nun. Habe in A Coruna eine ganz große Runde gedreht. Ich vermisse meinen Rucksack. Mit dem Rucksack auf den Schultern wusste ich: Es geht los, die Pause ist vorbei. Und ich vermisse das Wandern, die Begegnungen, sogar die Herbergen. Hier gibt es auch den ein oder anderen Pilger (eine Strecke des Camino inglés startet hier), wir erkennen uns sofort und wünschen uns buen camino. Es fühlt sich richtig an, morgen noch mal nach Santiago zurück zu fahren, um die Gemeinschaft der Pilger zu erleben. Und vermutlich werde ich um 19.30 Uhr noch mal die Messe besuchen.

 

Eine große Reise geht zu Ende, eine der größten und schönsten meines bisherigen Lebens. Der Camino ist wie das Leben. Man trifft Leute, für kurze oder lange Zeit. Mit manchen geht man einen Teil des Weges gemeinsam und manche begleiten einen bis zum Schluss. Meine Konstante war Charly. Immer wieder getroffen habe ich Mafe. Einige, Erika, Davide (der Italiener zwischen Castrojeriz und Fromista!), Emanuele, waren schöne Episoden, andere mehr als das: Meghan, Miriam, Carlos, Fran, Alex, Liz und Dave. Schöne kurze Begegnungen hatte ich mit Raquel, Manuel (der Sevillaner!), den beiden Österreicherinnen. Bei anderen bin ich froh, das ich sie nur kurz getroffen habe. Lala, die Deutsche nach der Höllen-Etappe, Javi. Aber sie alle waren Teil meines Caminos. Ich danke euch, dass ihr ihn zu einem unvergesslichen, einmaligen Erlebnis gemacht habt! Buen camino!

29.8.2015

Nachtrag

Mein Tagebuch endet mit dem letzten Eintrag. Dennoch gibt es noch zwei Episoden zu erzählen, die sich zugetragen haben, als ich wieder zurück in Santiago war. Zuerst habe ich mir ein Tattoo stechen lassen, ein Jakobskreuz auf dem Rücken. Es fühlt sich so richtig an, das immer bei mir zu tragen.

Außerdem habe ich zwei Leute noch mal getroffen, die schon erwähnt wurden. Die erste war Lala. Ich habe sie auf der Sraße zufällig getroffen, und bevor wir wussten was wir taten, haben wir uns umarmt. Wer hätte das gedacht.

Die andere Begegnung hatte ich mit Madi. Bei der Gelegenheit haben wir die verpasste Chance nachgeholt und zusammen einen Wein getrunken. So bleiben letztlich keine offenen Enden zurück. Wie schön.